Alanna - Das Lied der Loewin
es tun.« Myles hielt ihr das Schwert hin.
»Das kann ich nicht!«, protestierte sie. »Es sind Eure Ruinen. Es gehört Euch.«
Myles schüttelte den Kopf. »Du hast nicht aufgepasst. Ich wurde gezwungen, dich hierherzubringen. Du hast den Zugang zur Treppe geöffnet, nachdem ich es jahrelang vergeblich versucht habe. Etwas ist da unten passiert, und das Schwert hat dich beschützt. Und vergiss das Gewitter nicht. Ich erkenne einen Wink, wenn man mir einen gibt, Alan.«
»Es gehört Euch«, protestierte sie fast unter Tränen.
»Es hat mir nie gehört.« Er schob es ihr zu. »Lass mich sehen, wie es aussieht, Junge.«
Widerstrebend stand Alanna auf und nahm die Waffe entgegen. Das Heft passte in ihre Hand, als sei es für sie gemacht. Sie schloss die Augen und zog das Schwert.
Nichts geschah. Verlegen schaute sie Myles an. Ihr Freund grinste sie an. »Ich komme mir komisch vor«, gestand sie.
»Nach all dem, was heute Vormittag geschah, hätte auch ich etwas Dramatisches erwartet. Was hältst du nun davon?«
Alanna wog die Klinge in der Hand. Sie war dünner und leichter als ein Breitschwert, doch war sie ebenso zweischneidig. Das Metall war federleicht und schimmerte silbern. Sie berührte sanft eine Schneide mit dem Daumen und schnitt sich. Freudestrahlend versuchte sie ein paar Hiebe. Das Schwert fühlte sich wundervoll an in ihrer Hand.
»Wie wirst du sie nennen?«, fragte Myles.
Sie nahm keinen Anstoß daran, dass Myles ihr Schwert als eine »Sie« bezeichnete. »In Anbetracht dessen, dass es so eine Reaktion verursacht hat bei ... bei ...«
»Bei dem Irgendwas, das die Ruine bewacht?«, schlug der Ritter vor.
»Ja, ich denke, das war es. Aber wie auch immer – in Anbetracht dessen, dass es ein Gewitter aufziehen ließ, und all das so rasch – wie wär’s mit ›Blitz‹?«
Myles hob seinen Becher und prostete ihr zu. »Auf das Wohl von Alan und das von Blitz. Mögest du nie einer besseren Klinge begegnen.«
Alanna leerte ihren Becher. »Myles«, sagte sie, während sie das Schwert in die Scheide steckte.
»Hm?« Der Ritter ließ sich von ihrem beiläufigen Tonfall nicht irreführen.
»Mir ... mir wäre es lieber, wenn niemand davon wüsste ... na ja, was passiert ist. Könnten ... könnten wir einfach sagen, ich hätte mir Blitz in Eurer Waffenkammer ausgesucht?«
»Jonathan wirst du doch die Wahrheit sagen, oder nicht?«
»Natürlich. Aber ich will nicht, dass ein anderer es erfährt. Wenn Ihr einverstanden seid.«
»Sicher, mein Junge. Wie du willst.« Myles schenkte sich seinen Becher von Neuem voll und fragte sich, wovor – oder vor wem – Alan Angst hatte.
Alanna erwartete, dass man Blitz bemerkte – sie wäre beleidigt gewesen, wäre dem nicht so gewesen. Sogar Herzog Gareth befragte sie nach ihrer Waffe, ebenso wie Hauptmann Sklaw. »Nicht schwer genug«, grunzte der Hauptmann, als er Blitz das erste Mal in die Hand nahm. Als er jedoch die Schneide prüfte, bekam sein Gesicht einen respektvollen Ausdruck. »Nicht übel«, sagte er schließlich. Damit musste sich Alanna zufriedengeben. Alle akzeptierten ihre Geschichte, Blitz sei ein Geschenk von Sir Myles. Doch Jonathan erzählte sie unter vier Augen die Wahrheit. Der Prinz war fasziniert von ihrem Abenteuer und stellte ihr Fragen über Fragen. Er machte sogar den Versuch, den Kristall mit seiner eigenen Zauberkraft zum Leuchten zu bringen. Doch nichts geschah, und schließlich gab er es auf, wobei er bemerkte, er bekäme Kopfschmerzen bei dieser Übung.
Auch Coram sagte Alanna die Wahrheit. Sie hatte das Gefühl, das sei sie ihrem alten Kameraden schuldig. Coram sagte nichts, doch er rührte das Schwert auch nicht an.
Als Georg darum bat, Alannas neue Klinge zu sehen, überreichte sie ihm Blitz gern. Doch zu ihrer Überraschung stieß der Dieb einen Schrei aus und ließ die Waffe fallen. Er bat Alanna, sie selbst wieder aufzuheben.
»Sie steckt voller Zauberkraft von einer Art, wie ich ihr noch nie begegnet bin«, sagte er. »Und du willst mir weismachen, dass sie einfach bei Sir Myles in der Waffenkammer herumhing?«
Alanna öffnete den Mund zu einer Lüge – und schloss ihn wieder. Als sie schließlich doch zu reden begann, erzählte sie ihm die wahre Geschichte. Georg hörte sie sich an und schüttelte verwundert den Kopf.
»Du hast etwas angenommen?«, bemerkte er. »Du? «
»Ich hatte ja keine andere Wahl«, gab sie unwillig zurück. »Ich war im Begriff zu sterben, ob ich nun wollte oder nicht.
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