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Alanna - Das Lied der Loewin

Alanna - Das Lied der Loewin

Titel: Alanna - Das Lied der Loewin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamora Pierce
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»Sei still«, befahl sie ihm und wandte sich dann wieder dem oder der Fremden zu.
    »Ich sah dein Feuer durch die Bäume.« Die Stimme war so heiser und sanft wie der Wind, der durch die Baumwipfel strich, und doch erinnerte sie Alanna irgendwie an eine Meute bellender Jagdhunde. »Gestattest du mir, dass ich mich aufwärme?«
    Alanna zögerte und nickte dann. Der oder die Fremde warf die Kapuze zurück und das Gesicht einer Frau – die größte Frau, die Alanna jemals gesehen hatte – kam zum Vorschein. Ihre Haut war schneeweiß, sie hatte schräg gestellte, smaragdgrüne Augen und volle, rote Lippen. Das
Haar trug sie offen und es fiel ihr in schwarzen Locken bis über die Schultern herunter. Alanna schluckte. Das Gesicht der Frau war zu vollkommen, um wirklich zu sein, und sie ließ sich so graziös vor dem Feuer nieder, dass es aussah, als habe ihr Körper keine Knochen. Sie musterte Alanna, als diese sich unbeholfen wieder setzte. Die erstaunlich grünen Augen der Fremden waren undurchdringlich.
    »Wie merkwürdig, hier an diesem Fleck einen Jüngling so ganz alleine anzutreffen«, sagte sie schließlich. Ihr Mund verzog sich zu einem leisen Lächeln. »Über diesen Baum und das, was darunter vor sich geht, erzählt man sich seltsame Geschichten.«
    Das Kätzchen hüpfte wieder auf Alannas Schoß und schnurrte. Alanna streichelte es nervös, ließ aber ihre Besucherin nicht aus den Augen.
    »Das Gewitter hat mich überrascht«, entgegnete sie. »Das hier war der erste Unterschlupf, den ich finden konnte.« Und jetzt bedaure ich, dass ich ihn fand, fügte sie insgeheim hinzu. Überraschungen kann ich überhaupt nicht leiden!
    Die Frau musterte sie von Kopf bis Fuß. Noch immer lag das undurchdringliche Lächeln auf ihrem Gesicht. »Jetzt bist du also ein Knappe, meine Tochter. In vier Jahren wirst du ein Ritter sein. Bis dahin ist es nun nicht mehr lange, wie?«
    Alanna machte vor Überraschung mehrmals den Mund auf und wieder zu. Dann kniff sie die Lippen zusammen. Das mit dem Knappen war leicht zu erraten – unter ihrem Umhang trug sie die königliche Uniform, so wie es Vorschrift war, wenn ein Knappe ohne seinen Oberherrn auf Reisen ging. Aber die Frau hatte sie »meine Tochter« genannt. Die Fremde wusste also, dass sie ein Mädchen war, obwohl sie wie ein Junge gekleidet war und sich obendrein
die Brüste bandagiert hatte! Und Alannas eigene Mutter war schon bei ihrer Geburt gestorben. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie die Stimme der Frau schon einmal gehört hatte. Nur wo? Schließlich gab sie die unverfänglichste Antwort, die ihr einfiel.
    »Ich will ja nicht unhöflich sein, aber über die Ritterprüfung möchte ich lieber nicht reden«, sagte sie kurz und bündig. »Wenn möglich, möchte ich nicht einmal daran denken. «
    »Aber du musst daran denken, meine Tochter«, mahnte die Frau. Alanna zog die Stirn in Falten. Fast wäre ihr wieder eingefallen, woher sie diese Stimme kannte. »Viele Dinge werden geschehen, wenn du die Ritterprüfung ablegst. Du wirst ein Ritter werden – der erste weibliche Ritter seit mehr als hundert eurer Jahre. Kurz darauf wirst du dein wahres Geschlecht bekennen müssen – so wie du geartet bist, wirst du nicht lange schweigen können. Ich weiß wohl, wie sehr du es hasst, deine Freunde im Palast so täuschen zu müssen.«
    Alanna erstarrte. Jetzt wusste sie wieder, wo sie diese Stimme gehört hatte. Jonathan, der Sohn des Königs, war noch ein Junge gewesen. Er war am Schwitzfieber erkrankt und lag im Sterben. Die Palastheiler sagten, es gäbe keine Hoffnung mehr für ihn. Doch Alanna, die damals noch Page war, brachte Sir Myles dazu, die anderen zu überreden, sie ihre Heilkraft benutzen zu lassen. Die Zauberei, die das Fieber ausgelöst hatte, war zu mächtig für die Magie, die sie beherrschte, und so flehte sie schließlich inständig die Große Muttergöttin an. Daraufhin hörte sie eine Stimme, die ihr in den Ohren schmerzte – eine Frauenstimme, die so klang wie das Gebell einer aufgescheuchten Hundemeute oder wie die der Jägerin, die diese Hundemeute vorwärts hetzte. Und erst
vor einem Jahr, als sie mit Jon in der Schwarzen Stadt gefangen war, hatte sie diese Stimme noch einmal gehört. Auch damals riefen sie die Göttin um Hilfe an, und sie antwortete und gab ihnen Anweisungen.
    »Unmöglich«, flüsterte sie und ihre Stimme schwankte. »Ihr ... Ihr könnt nicht...«
    »Und weshalb nicht?«, fragte die Muttergöttin. »Es wird Zeit, dass wir beide

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