Alanna - Das Lied der Loewin
uns unterhalten. Du musst doch wissen, dass du eine meiner Auserwählten bist. Ist es denn so seltsam, dass ich für eine Weile zu dir komme, meine Tochter?«
Auch ohne dass die Götter sich einmischen, ist das Leben schon schwierig genug hatte ihr Myles mehr als einmal gesagt. Aber sie tun es trotzdem. Wir Menschen können nur hoffen, dass es ihnen bald zu mühsam wird und sie uns wieder in Ruhe lassen!
Alanna reckte störrisch das Kinn. »Ich habe nie darum gebeten, mit den Göttern zu sprechen«, erklärte sie der Unsterblichen auf der anderen Seite des Feuers.
»Stimmt. Du bittest nur selten um etwas«, sagte die Muttergöttin und nickte. »Du ziehst es vor, so viel wie möglich selbst zu erledigen. Aber das, was in den nächsten Jahren geschieht, wird dein künftiges Leben bestimmen, und du hast keine Mutter, die dir einen guten Rat geben könnte.«
Das Kätzchen hüpfte von Alannas Schoß und lief mit einem wütenden Miauen zu der Göttin hinüber. Diese hob es mit einer graziösen Handbewegung hoch und streichelte es mit scharlachrot lackierten Nägeln. »Keine Angst, Kleiner, ihr wird nichts zustoßen. Sie braucht nur einen Augenblick oder zwei, um sich auf ihre Angst einzustellen.«
»Ich habe keine Angst«, fauchte Alanna. Smaragdgrüne Augen fingen ihren Blick ein und hielten ihn fest, bis Alanna schluckte und beiseitesah.
»Also gut – ich habe Angst. Aber es nutzt mir wenig, wenn ich meine Angst zulasse. Dass Ihr mit mir redet, kann ich sowieso nicht verhindern, also finde ich mich am besten gleich damit ab.«
Die Göttin nickte. »Du hast deine Lektion als Page gut gelernt«, lobte sie. »Allerdings hast du drei Ängste, mit denen du dich nicht auseinandergesetzt hast.« Als Alanna nichts sagte, fuhr sie fort. »Du fürchtest die Ritterprüfung. Du fürchtest dich davor, seit du beim letzten Mittwinterfest bei Prinz Jonathans Prüfung Nachtwache hieltest.«
Alanna sah ins Feuer. Als sie entdeckte, dass es heruntergebrannt war, legte sie frisches Holz in die Flammen. Sie sah direkt vor sich, wie Jonathan mit grauem Gesicht aus dem mit Eisengittern versperrten Prüfungsraum gestolpert war. Er hatte sie angeschaut, ohne sie zu sehen – Jonathan! Selbst jetzt noch wurden seine Augen manchmal ganz dunkel und leer, und ihr war klar, dass er an die Prüfung denken musste.
Ihre Stimme schwankte, als sie sagte: »Er sah aus, als sei da drinnen ein Teil von ihm gestorben. Und dann, in der darauffolgenden Nacht, legte Gary seine Prüfung ab, dann Alex und dann Raoul – und alle sahen sie so aus.« Sie schüttelte den Kopf, ohne die Göttin anzusehen. »Keiner von ihnen ist ein Feigling. Was auch immer dort passiert sein mag: Wenn es so schrecklich war für sie ...« Sie machte einen tiefen Atemzug. »Manchmal wacht Jon nachts schreiend auf. Und es ist die Ritterprüfung, von der er träumt, obwohl er mir nichts Näheres darüber sagen darf. Wenn die Prüfung so schlimm ist, werde ich sie nicht bestehen. Bestimmt nicht. Und dann war alles umsonst: drei Jahre als Page, vier als Knappe, die Lügerei, alles.« Sie starrte in das undurchdringliche Gesicht der Göttin. »Oder etwa nicht?«
»Prinz Jonathan hat dich als seinen Knappen erkoren, obwohl er wusste, dass du ein Mädchen bist«, entgegnete die Göttin. »Du hast die Welt kennengelernt, die außerhalb von Trebond liegt. Du kannst reiten; du weißt den Bogen zu benutzen; du kannst mit dem Messer, dem Schwert und dem Speer kämpfen. Du kannst Karten lesen. Du verwaltest mit Corams Hilfe dein Lehnsgut, während dein Bruder studiert. Du schreibst und sprichst zwei Fremdsprachen; du kannst Kranke heilen. Ich glaube, du musst deine Frage selbst beantworten: Hat es sich gelohnt, was du getan hast?«
Alanna zuckte die Achseln. »Jetzt schon. Aber nicht, wenn ich versage. Manchmal wache ich nachts schwitzend auf und will schreien, nur mache ich es nicht. Dann käme nämlich Jon in mein Zimmer, und wir haben abgemacht, dass er das nicht darf. Nicht, nachdem wir zu Bett gegangen sind. Und von meinem Traum weiß ich nur noch, dass sie das Eisengitter hinter mir schließen, und ich bin in diesem Raum, und alles ist stockdunkel.«
»Ein Traum ist bloß ein Traum«, murmelte die Göttin. Alanna sah sie skeptisch an. Sanft fügte die Frau hinzu: »Wäre es denn so schlimm, wenn Jonathan tatsächlich käme, um dich zu trösten?«
Alanna errötete. »Natürlich wäre es schlimm. Er – na ja, so etwas gibt es nicht zwischen uns. Das will ich
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