Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Korb auf und sammelte die herumliegenden Äpfel ein. Der letzte Apfel, den sie erspähte, war das riesige Prachtstück. Anscheinend hatte sie ihn erwischt, bevor sie von der Leiter gefallen war. Welch ein Glück! Sie berührte ihr rechtes Ohrläppchen in angemessener Demut, um dem Geist, der hinter diesem Gnadenakt steckte, zu danken. »Danke, Süße Mutter«, murmelte sie dem leeren Obsthain zu. Dies war ein gutes Omen zu Beginn ihres Daseins als Frau.
Als sie sich vorbeugte, um ihre Trophäe aufzuheben, beobachtete sie, wie sich ihre blutige Hand darum schloss, und ihr fiel der Augenblick wieder ein, als ihre Hand in einem Dunst aus Sonnenlicht verschwunden war. Sie runzelte die Stirn und verscheuchte den Gedanken. Wahrscheinlich lag es nur daran, dass das Licht ihren müden Augen einen Streich gespielt hatte.
Ihre Hand umklammerte den Apfel. Ihre Mutter würde einen leckeren Strudel damit zubereiten. Sie stellte sich vor, wie der Duft des warmen Apfels mit Zimt einem frischen Stück Strudel entströmen würde.
Als sie ihre Trophäe hochhob, bebte der Apfel in ihrer Hand, als ob er lebendig wäre, dann verwelkte er auf der Stelle, und es blieb nur eine verrunzelte, pergamentartige Masse übrig. Elena zog angeekelt die Lippen zurück und ließ ihn fallen. Als der Apfel am Boden aufkam, zuckte davon eine so grelle Flamme auf, dass sie geblendet wurde. Sie hielt sich die Arme vor die Augen, doch das Licht verschwand so schnell, wie es gekommen war. Sie ließ den Arm vorsichtig sinken. Alles, was von dem Apfel übrig geblieben war, war ein kleiner Berg Asche. Heilige Mutter von Regalta!
Während sie von dem schwarzen Häuflein zurückwich, läutete auf der anderen Seite des Obsthains die Glocke erneut zum Abendessen, was sie erschreckte, sie jedoch gleichzeitig aus ihrer Erstarrung riss. Ihren Korb zurücklassend, durchquerte sie im Laufschritt den Hain.
Als Elena auf dem Hof ihrer Familie ankam, leuchteten nur noch die letzten Strahlen der untergehenden Sonne am westlichen Himmel. Schatten lagen schwer auf der festgebackenen Erde zwischen dem Pferdestall und dem Wohnhaus. Sie übersprang mit einem Satz den Graben zur künstlichen Bewässerung und brach damit aus der letzten Baumreihe heraus.
Ein Wagen, beladen mit Tagelöhnern, holperte auf sie zu, in Richtung der Straße zur Stadt. Grobes Lachen schallte über den Hof. Der Maultierkutscher, Horrel Ferr, scheuchte sie mit einer Handbewegung aus dem Weg. »Weg da, Mädchen!« rief er ihr zu. »Ich habe hier einen Karren voll hungriger Männer, die unbedingt ihr Abendessen bekommen müssen.«
»Und unser Bier! Vergiss das Bier nicht!« rief jemand von der Ladefläche des Karrens. Seine Bemerkung löste eine erneute Lachsalve aus.
Elena sprang zur Seite. Der Zug von vier Maultieren stemmte sich in die Geschirre und zog den quietschenden Wagen an ihr vorbei. Sie wollte gerade den Arm heben, um den davonfahrenden Arbeitern zuzuwinken, doch dann senkte sie ihn wieder und versteckte ihn hinter dem Rücken, da sie sich plötzlich ihrer befleckten Hand schämte. Falls die rote Farbe ein Kennzeichen der knospenden Weiblichkeit war, dann war es ihr plötzlich peinlich, sich die Veränderung vor diesen grobschlächtigen Männern anmerken zu lassen. Sie spürte, dass schon bei dem Gedanken ihre Wangen erröteten.
Sobald der Wagen vorbeigerumpelt war, flitzte Elena über den Hof; dabei hörte sie, wie ein Mann dem anderen gegenüber äußerte: »Dieses Mädchen ist irgendwie komisch. Es rennt immer herum. Bestimmt ist es nicht ganz richtig im Kopf.«
Elena überhörte die Beleidigung und setzte den Weg zur Hintertür ihres Elternhauses fort. Es war nicht das erste Mal, dass ihr so etwas zu Ohren kam. Das Gerede der Kinder bei ihr in der Schule war sogar noch grausamer. Elena war schon immer ein hoch gewachsenes, schlaksiges Mädchen gewesen, bekleidet mit alten, selbst genähten Klamotten, die sie von ihrem Bruder geerbt hatte. Sie war häufig der Gegenstand von Spott, was sie in der Öffentlichkeit lässig ertrug; zu Hause weinte sie jedoch oft. Selbst ihre Lehrer hielten sie für etwas langsam im Denken und glaubten, ihre Tagträumerei sei ein Beweis für einen schwerfälligen Geist. Auch diese Einschätzung tat ihr weh, doch im Laufe der Zeit hatte sich Elenas Herz eine ausreichende Gleichgültigkeit zugelegt.
Einsam, nur mit ihrem Bruder und ein paar kleinen Kindern aus der Nachbarschaft als Gesellschaft, hatte Elena die Erfahrung gemacht, wie angenehm es war,
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