Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Erde verschmutzten Finger zu der gebogenen Nase.
»Sie blutet«, sagte der Alte, der seinen Finger beschnupperte, und seine Stimme klang, als ob alte Eisschichten zerbrächen und sich gegeneinander rieben.
»Von wem sprichst du, Dismarum? Warum hast du uns gezwungen, die Stadt zu verlassen?«
»Diejenige, die der Herr der Dunklen Mächte sucht - endlich ist sie gekommen.«
Rockenheim schüttelte den Kopf. Nicht schon wieder dieser Unsinn! Die Ruhe einer ganzen Nacht gestört aufgrund der Hirngespinste dieses alten Mannes! »Sie ist ein Mythos!« entgegnete er und warf übellaunig einen Arm hoch. »Seit wie vielen Jahrhunderten versucht der Herr der Dunklen Mächte vergeblich, eine weibliche Person mit seinen Kräften auszustatten? Während meines Aufenthaltes in Schwarzhall habe ich das Ergebnis der Bemühungen des Erhabenen gesehen: die missgestalteten Geschöpfe, die in den Kerkern heulten. Es ist unmöglich. Eine Frau wird niemals Magik beherrschen.«
»Es ist nicht unmöglich. Sie ist hier.«
Rockenheim stieß mit dem Fuß gegen den Korb, der in seiner Nähe stand, und rote Früchte rollten über den Boden. »Dasselbe hast du letztes Jahr behauptet. Wir haben die Eingeweide dieses Mädchens auf dem Altar ausgelegt und festgestellt, dass wir uns geirrt haben.«
»Das hat keine Bedeutung.«
»Erzähl das den Bewohnern der Stadt Winterberg! Ihr wütendes Geschrei grenzt an einen Aufstand. Wenn das Bataillon der Hundsfott-Soldaten nicht wäre, hätten sie uns zum Teufel gejagt.«
»Von mir aus können Tausende sterben, wenn wir nur die richtige Person erwischen.« Dismarum umklammerte Rockenheims Ellenbogen mit knochiger Klaue. »Ich warte schon seit ungezählten Jahren. Alte Prophezeiungen, aus der Vergangenheit geflüstert, haben mir gesagt, dass sie in dieses Tal kommen wird. Ich bin als junger Mann hierher gekommen, als dein Urgroßvater noch als Kleinkind in den Windeln lag… und ich habe gewartet.«
Rockenheim entzog seinen Ellenbogen dem eisernen Griff. »Bist du dir dieses Mal sicher? Wenn du dich irrst, dann werde ich dich persönlich deiner Zunge entledigen, damit ich mir deine Lügen nicht länger anhören muss.«
An den knorrigen Stamm eines Poi’holz-Baumes gelehnt, richtete der blinde Seher die milchigen Augen auf Rockenheim. Dieser zuckte einen Schritt zurück. Er hatte das Gefühl, von diesen Augen bis zur Wirbelsäule durchbohrt zu werden.
»Sie ist hier«, zischte Dismarum.
Rockenheim räusperte sich. »Schön. Ich werde morgen früh eine Schwadron aus der Garnison zusammenrufen und sie einsperren lassen.«
Der alte Mann wandte die gespenstischen Augen von ihm ab, die uralten Finger zogen die Kapuze seines Umhangs über den kahlen Kopf. »Es muss heute Nacht geschehen.«
»Wie denn? Die Eltern dieses Mädchens sind bestimmt nicht willens, sie in die Nacht verschleppen zu lassen. Diese Leute vom Land sind nicht so feige wie der Abschaum in den Städten. Sie sind immer noch ein verdammenswürdig unabhängiger Haufen.«
»Der Meister hat mir deine Hilfe gewährt, Rockenheim. Ich habe dich angefordert. Du wirst der Sache genügen.«
»Ich? Willst du mir etwa erzählen, du bist der Grund, warum ich von Schwarzhall abberufen und in dieses vermaledeite Tal geschickt wurde?«
»Ich brauchte jemanden wie dich, vom Meister vorbereitet.«
»Was faselst du da?« fragte der Soldat.
Anstatt zu antworten, zog der Alte peitschenschnell einen Dolch, der im Mondlicht silbern glänzte, und stieß ihn in Rockenheims Unterbauch, unmittelbar über der Lende. Fassungslos fiel der Jüngere nach hinten, jedoch nicht rechtzeitig genug, um zu verhindern, dass der Seher ihm einen sauberen Schnitt in den Bauch verpasste und ihn wie einen Fisch aufschlitzte.
Während er mit einem Stöhnen auf die Knie taumelte, umfasste Rockenheim seinen aufgeschlitzten Bauch und versuchte, die Schlingen seiner Eingeweide zurückzuhalten. »W-w-was hast du getan?«
Mit einer Hand immer noch den blutigen Dolch umfassend, streckte Dismarum die andere Gliedmaße deutend aus, einen Arm, der in einem Stumpf endete. »Geht, meine Kinder. Sucht sie! Seid meine Augen. Seid meine Ohren. Vernichtet all jene, die uns im Wege stehen.«
Mit nachlassenden Kräften fiel Rockenheim auf eine Hand; den anderen Arm hatte er sich um den Bauch gelegt. Etwas krümmte sich in seinem Innern, wie Kohle in einem Feuer, in dem gestochert wird. Todesqual durchtobte ihn. Er fiel mit einem schrillen Schrei zur Seite, löste den Griff um die
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