Alasea 01 - Das Buch des Feuers
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Hexenglut
Auf diese Weise endete die Welt,
und wie Sandkörner, die in den Wind
im Horst des Winters geworfen werden,
ist dies der Beginn aller anderen Welten.
Worte, mit schwarzer Tinte auf Pergament geschrieben, sind nichts als Utopie, und ich als Schriftsteller weiß das nur allzu gut. Die Aussprache verändert sich; die Bedeutung unterliegt Wandlungen; nichts übersteht unversehrt das Toben blinder Zeit.
Also, warum schreibe ich dies? Warum betreibe ich diese Narretei? Dies ist nicht das erste Mal, dass ich ihre verdammte Geschichte erzähle. Ich habe schon oft über sie geschrieben, in vielen Verkörperungen. Einmal jungfräulich zu ihrer Ehre. Ein andermal böse, ohne Seele oder Gewissen. Ich habe sie als Possenreißerin, als Prophetin, als Gauklerin, als Erlöserin, als Heldin und als Schurkin dargestellt. Aber in Wirklichkeit war sie all dies und nichts davon. Sie war einfach eine Frau.
Und zum ersten Mal werde ich jetzt ihre wahre Geschichte erzählen. Eine Wahrheit, die mich - wenn ich Glück habe - letztendlich zerstören wird. Ich erinnere mich noch gut an ihr Versprechen, so als ob nur ein einziger Herzschlag vergangen wäre: »Fluch oder Segen, kleiner Mann? Tu damit, was du willst. Aber wenn der Lauf der Jahre zu schwer auf dir lastet, erzähl meine Geschichte… Erzähl meine wahre Geschichte, dann wirst du dein Ende finden.«
Aber kann ich das? Es ist viel Zeit vergangen.
Tausend Zungen, einschließlich der meinen, haben mit jeder Wiedergabe der Geschichte die Ereignisse verzerrt, sie in jeder Einzelheit, mit jedem Wort verdreht, und jeder Erzähler hat seinen Lieblingsteil ausgeschmückt. So wie sich hungernde Köter um einen Fleischknochen balgen, zerren wir an ihrer Substanz, ziehen sie durch den Dreck, beschmutzen sie mit Speichel und Blut, bis nichts mehr übrig bleibt als ein zerfetzter Rest des Ursprünglichen.
Während ich die Tinte zu Papier bringe, zittert mir die Hand. Ich sitze in diesem gemieteten Raum und kritzele jedes Wort mit schmerzendem Handgelenk nieder. Um mich herum türmen sich Haufen von zerknittertem Pergament und staubigen Büchern, Einzelteile des Puzzles. Ich sammle sie ein wie liebe alte Freunde, bewahre sie nahe bei meinem Herzen auf, kann sie mit den Fingerspitzen streicheln und mit der Nase riechen, ein berührbarer Beweis meiner fernen Vergangenheit.
Während ich die Feder in der Schwebe halte, erinnere ich mich an ihre letzten Worte - jedes davon ein Messer, das eine gezackte Wunde reißt. Ihr süßes Gesicht, der Sonnenglanz auf ihrem kurz geschnittenen roten Haar, der blaue Fleck unter ihrem rechten Auge, die blutige Lippe, die sie immer wieder mit der Zunge berührt, während sie um die letzten Worte an mich ringt… Und ich erinnere mich an die Traurigkeit in ihren Augen, als ich über ihre Torheit lachte. Verdammt sollen ihre Augen sein!
Aber das war später, viel später. Um das Ende zu verstehen, muss man erst den Anfang kennen. Und um den Anfang zu verstehen, muss man die Vergangenheit verstehen, die Vergangenheit, die lange vor ihrer Geburt in das Reich der Mythen eingegangen war.
Ich will es Ihnen zeigen, wenn ich es finden kann: ein Pergament, das von der Schöpfung des Buches an sich erzählt, eine umfangreiche Schrift, die einmal ein Mädchen und eine Welt zerstören würde.
Ach, hier ist es:
PROLOG
(Anmerkung zum Text: Nach zweifelsfreier Einschätzung ist das Folgende ein Auszug aus L’Orda Rosi - Der Orden der Rose -, verfasst in der Hochsprache Alaseanisch beinahe fünf Jahrhunderte vor der Geburt der Person, die als Hexe von Wintershorst bekannt werden sollte.)
MITTERNACHT IM TAL DES MONDES
Trommeln schlugen die Stille des winterlichen Tals zurück, Schnee prägte die Landschaft in Silber. Ein Falke
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