Alasea 01 - Das Buch des Feuers
weiße Schleimklumpen fielen von seiner fieberhaft geblähten Nase in die schwarze Nacht.
Doch Er’ril schenkte dem zutiefst erschöpften Pferd nur flüchtige Beachtung. Während er sonst den rücksichtslosen Reiter wegen der schlechten Behandlung eines so schönen Tieres gerügt hätte, wusste er in dieser Nacht um die Dringlichkeit des Anliegens. Er hob die Hand zum Bruder hinauf.
Schorkan schüttelte den Kopf und glitt vom Pferd; er kam mit einem Stöhnen am Boden auf, blieb jedoch auf den Beinen. Er klopfte seinem Bruder auf die Schulter. »Schön, dich zu sehen, Bruder. Hilf mir, meinen Freund vom Pferd zu heben.«
Jetzt erst bemerkte Er’ril den kleinen zweiten Reiter, der hinter dem Bruder gesessen hatte. Die kleine Gestalt zitterte in einem offenbar geborgten Mantel über einem Nachtgewand. Der flachsköpfige Junge mit den blauen Lippen und dem blassen Gesicht konnte nicht älter als zehn Jahre sein. Er’ril half dem Jungen beim Absteigen von dem schwitzenden Pferd und brachte das zitternde Kind die Stufen zur Veranda hinauf, indem er es halb trug.
»Wir haben ein warmes Zimmer und etwas heißen Ko’koa oben im dritten Stock«, sagte Er’ril über die Schulter hinweg zu seinem Bruder nach hinten. Schorkan übergab die Zügel seines Hengstes dem Stallknecht. Er’ril sah den Schmerz in den Augen seines Bruders, als sein Pferd davonhumpelte.
Beide Brüder hatten die grauen Augen und das dichte schwarze Haar des Standischen Erbes. Doch Schorkans Gesicht, obzwar er der jüngere der beiden war, war von tiefen Sorgenfalten in den Mund- und Augenwinkeln gezeichnet. Er’ril wünschte, er hätte mehr von der Last seines Bruders auf seine Schultern nehmen können, doch er war nicht von Chi auserwählt, die Gabe der Rose zu tragen. Er’ril konnte lediglich die Kraft seiner Arme und die Schneide seiner Klinge anbieten, um zu ihrer Sache beizutragen.
»Also dann, schnell. Hinauf in das Zimmer.« Schorkan neigte den Kopf zur Seite und lauschte auf die Trommeln, deren dumpfes Wummern von den Höhen herunterschallte. »Wir haben noch eine lange Nacht vor uns.«
Er’ril ging voraus ins Haus und zur Treppe; der Junge taumelte neben ihm her. Wenigstens kehrte wieder etwas Farbe in das Gesicht des Kindes zurück, als ihn die Hitze der Kamine wärmte. Die blassen, schmalen Lippen röteten sich, und die Wangen blühten in rosiger Wärme auf. Unter strohfarbenem Haar sahen seine blauen Augen - eine Seltenheit in dieser Gegend - Er’ril an.
Schorkan betrachtete die Anzahl von Betten, als sie durch den Gemeinschaftsraum gingen. »Noch mehr Verletzte?«
»Scharmützel auf den Hügelkämmen entlang des Tals«, erklärte Er’ril.
Schorkan nickte nur, doch die Falten um seine Lippen wurden noch tiefer. Sanft drängte er Er’ril schneller die Stufen hinauf.
Als sie im Zimmer ankamen, fand Er’ril Greschym an derselben Stelle vor, wo er ihn zurückgelassen hatte - immer noch mit dem Rücken zum Feuer, um sich zu wärmen.
Schorkan trat in den Raum. »Es überrascht mich, dich immer noch hier anzutreffen, Greschym.«
Der Alte trat zur Seite, um für Schorkan Platz am Feuer zu machen. »Wo sollte ich denn sonst sein?« erwiderte Greschym. »Du hast uns in dieses Tal getrieben, jetzt sitzen wir hier fest.«
»Du bist mir nun schon so weit gefolgt, Greschym, im blinden Vertrauen auf mein Wort. Trau mir noch ein wenig länger.«
»Das sagst du andauernd.« Der Alte schob das Kinn deutend vor. »Lass deine Hand sehen, Schorkan!«
»Wenn es sein muss.« Er streckte dem Alten die rechte Hand hin. Sie wies eine leichte Rötung auf, wie von einem frischen Sonnenbrand.
Der Alte schüttelte den Kopf. »Deine Rose verblasst, Schorkan.« Greschym beäugte den Jungen, der näher in die Wärme des Feuers rückte. Er packte den Jungen an der Schulter, als dieser in seiner Reichweite war. »Dann hast du also einen der Studenten gefunden?« Er griff hinunter und hob den Ärmel des Mantels in Männergröße, um die rechte Hand des Kindes freizulegen. Sie war so blass und weiß wie das ängstliche Gesicht des Jungen. »Was ist das? Hast du dich geirrt?«
Schorkan befreite den Jungen sanft von Greschym und legte dem Kind einen Arm um die Schultern. Er schob den Jungen noch näher zum Feuer und tätschelte ihm den Kopf. »Er ist Linkshänder.« Schorkan krempelte den linken Ärmel des Mantels hoch, um die andere Hand des Kindes zu entblößen. Sie leuchtete hellrot, als ob der Junge die Hand bis zum Gelenk in einen Teich von Blut
Weitere Kostenlose Bücher