Alasea 01 - Das Buch des Feuers
getaucht hätte. Wirbel und Spiralen von verschiedenen Rottönen verteilten sich über seinen kleinen Handballen und -rücken. »Der Umstand, dass er Linkshänder ist, hat ihm das Leben gerettet. Einer der Soldaten der Hundsfötter beging den gleichen Irrtum wie du und ließ ihn somit dem anfänglichen Gemetzel entkommen. Er hat sich in einem Apfelbottich versteckt. Der Rest der Akademie ist ein Schlachthaus.«
»Dann gibt es also keine weiteren?« fragte Greschym. »Von welchem Nutzen ist die Kraft eines einzigen Kindes gegen ein Heer von Gul’gotha? Ich hatte gehofft, du hättest einen Lehrer gefunden, der noch von Blut gezeichnet und frisch bei der Rose ist, jemanden mit Wissen.«
»Keinen. Selbst der Dekan ist geflohen.«
»Das hört sich nach Meister Re’alto an«, bemerkte Er’ril missmutig. »Ich habe diesem hinterhältigen Kerl noch nie getraut.«
Schorkan wandte sich vom Feuer ab. Er nickte zum Fenster hinüber, wo die Trommeln immer noch zu hören waren. »Das ist ohne Bedeutung. Morgen früh werden wir ohnehin alle abgeschlachtet sein.«
»Was?« Er’ril trat zu seinem Bruder. »Was ist mit deiner Vision?«
Greschym schnaubte. »Was habe ich dir gesagt?« murrte er.
»Vertrau mir, Bruder. Heute Nacht geht es hier nicht nur um unser bloßes Überleben. Es geht um unser Schicksal, unsere Zukunft.«
»Welche Zukunft?« warf Greschym ein. »Dieses Kind ist wahrscheinlich der letzte vom Blut gezeichnete Magiker in allen Gebieten Alaseas.«
»Was du sagst, stimmt, Greschym. Mit diesem Kind endet die Regentschaft von Chi. Die Welt ist auf dem Weg in ein schwarzes Zeitalter, eine schlimme Zeit, da Menschen aus Blut und Tränen geschaffen werden. Das ist von der Sekte der Ho’fro vorhergesagt worden, von jenen Mitgliedern des Ordens, die die Pfade der Zukunft erkunden.«
»Verkünder des Weltuntergangs!« murmelte Er’ril verächtlich. »Häretiker. Man hat sie in die Verbannung geschickt.«
»Schlechte Botschaften wurden noch nie freudig aufgenommen, schon gar nicht von den Mächtigen. Aber sie sprachen die Wahrheit.« Schorkan deutete zum Fenster hinaus. »Die Trommeln verkünden die Klarheit ihrer Visionen.«
»Aber wir sind immer noch ein starkes Volk«, entgegnete Er’ril. »Wir können überleben.«
Schorkan bedachte seinen Bruder mit einem dünnen Lächeln. »Auch deine Worte stimmen, Er’ril. Aber dennoch wird Alasea fallen, und sein Volk wird von den Gul’gotha unterworfen werden. Die Zeit der Dunkelheit ist für das Land angebrochen. Wie im Kreislauf von Sonne und Mond muss die Nacht dem Tag folgen. Aber mit unseren Unternehmungen schaffen wir vielleicht einen zukünftigen Sonnenaufgang. Wir werden ihn nicht mehr erleben, ebenso wenig wie unsere Urenkel, doch eines Tages wird möglicherweise eine neue Sonne aufgehen. Um diesen zukünftigen Sonnenaufgang zu zünden, muss ein Stück von diesem Sonnenaufgang von uns an unsere Nachfahren weitergegeben werden.«
»Aber wie?« fragte Er’ril mit einem Seitenblick auf das schmächtige Kind. »Wie?«
»In der Weissagung der Ho’fro-Sekte kommt einem Buch die entscheidende Bedeutung zu.«
Greschym zog sich zum einzigen Bett im Zimmer zurück. »Das Buch? Schorkan, du bist ein Narr. Hast du mich deshalb mitgenommen?«
»Es waren deine Worte, Greschym - damals, als du noch den Ho’fro angehörtest.«
Er’ril wurde blass und trat einige Schritte von dem alten Mann zurück.
»Das ist lange her«, erklärte Greschym. »Als ich noch ganz neu mit den Gaben gesegnet war. Ich habe mich vor langer Zeit von der Sekte losgesagt.«
»Dennoch bin ich sicher, dass du dich an die Prophezeiung erinnerst. Später haben andere deine Visionen bestätigt.«
»Das ist Wahnsinn.«
»Es ist die Wahrheit. Wie lauteten deine Worte?«
»Ich erinnere mich nicht. Es waren törichte Worte.«
»Wie lauteten sie?«
Greschym bedeckte mit der verbliebenen Hand die Augen. Seine Stimme kam wie aus weiter Ferne.
»Drei werden kommen.
Einer verletzt,
Einer unversehrt,
Einer neu vom Blut gezeichnet.
Dort,
Geschaffen im Blut eines Unschuldigen
Um Mitternacht im Tal des Mondes,
Wird das Buch entstehen.
Drei werden eins werden,
Und das Buch wird gebunden.«
Schorkan saß neben Greschym auf dem Bett. »Wir haben uns eingehend mit deinen Worten beschäftigt. Die Zeit ist jetzt gekommen.«
Greschym stöhnte. »Du weißt so vieles nicht. Du bist noch ein junger Blutgezeichneter. Ich habe andere Schriften studiert, Texte, die inzwischen verbrannt worden
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