Alasea 02 - Das Buch des Sturms
dem ganzen Stamm. Ich wurde gejagt und beinahe getötet. Dein Vater hat mich gerettet, um mich dann - geschlagen und blutig - zu den greisen Og’ern in den tiefen Höhlen zu bringen.«
»Zur Triade.«
»Ja. Sie trugen mich zu einer Magik-Pforte im Herzen des Berges und warfen mich hinaus mit der Warnung, dass ich niemals wieder zurückkehren dürfe, sonst würde man mich erschlagen. Sie sagten, die Geister der Pforte würden mich dorthin bringen, wohin ich gehen müsse.«
Tol’chuk nickte bei ihren Worten, als ob er wüsste, wovon sie sprach. »Die Geistpforte«, flüsterte er nur.
Mikela hörte ihn anscheinend nicht und fuhr mit ihrer Erzählung fort. »Ich wurde östlich der Zahnberge ausgesetzt, tief im Inneren des Menschenlandes. Verletzt an Körper und Seele, war ich kaum in der Lage, mich zu verwandeln, doch es gelang mir schließlich trotz allem - und zwar in die Gestalt eines Menschen. Schwach und sterbenskrank wurde ich gefunden und von einer mildtätigen Frau aufgenommen, die sich um mich kümmerte. Sie war es auch, die …«
Sie wurde durch das plötzliche Erscheinen Mogwieds am Vorhang unterbrochen. Der Gestaltwandler trug immer noch sein Bühnenkostüm, sein Haar war zerzaust. »Irgendwas ist mit Elena geschehen«, sagte er aufgeregt. »Sie ist jetzt in Sicherheit, aber Er’ril möchte, dass wir alle zum Wagen kommen.« Erst nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, bemerkte er die Frau, die hinter Kral stand. Mogwied errötete, als ihm bewusst wurde, dass er ohne Umschweife in Anwesenheit einer Fremden gesprochen und damit den Schweigekodex der Gruppe gebrochen hatte.
Kral klopfte Mogwied auf die Schulter. »Mach dir keine Sorgen. Sie weiß bereits über Elena Bescheid.«
»W … wer ist sie?« flüsterte er.
Kral zuckte mit den Schultern. »Sie behauptet, Tol’chuks Mutter zu sein.«
Mogwied runzelte die Stirn und reckte den Hals um Krals breite Schulter, um sie anzusehen. »Aber Tol’chuks Mutter war doch eine Si’lura«, murmelte er. »Diese Frau gehört nicht meinem Volk an. Ihre Augen …« Mogwied deutete auf seine eigenen schlitzförmigen Pupillen. Für alle, die die Geschöpfe der Westlichen Marken kannten, waren die katzenartigen Pupillen das äußere Zeichen eines Gestaltwandlers in jeglicher Form. Die Augen dieser Frau waren ganz normal, wie die irgendeines menschlichen Wesens.
Offenbar hatte Mikela seine Worte gehört. »Aber ich bin eine Si’lura. Oder, um der Wahrheit ganz gerecht zu werden, ich war eine von euch. Inzwischen bin ich beständig bei einer Gestalt geblieben.«
Mogwieds Augen weiteten sich, eine Mischung aus Entsetzen und Abscheu sprach deutlich aus seinem Gesichtsausdruck. »Du … du bist … beständig bei einer Gestalt geblieben? Das kann doch wohl nur zwangsweise geschehen sein.«
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit«, wehrte sie Mogwieds Bemerkung unwirsch ab. »Es ist eine lange Geschichte, und Elena ist nicht so sicher, wie ihr so leichtfertig annehmt. Zumindest nicht hier in Schattenbach. Bringt mich zu ihr.«
Ihre Worte rissen die anderen aus ihrer Erstarrung.
»Sie hat Recht«, sagte Kral. »Gehen wir!« Er führte sie durch eine Vorhangöffnung hinter die Bühne. Unterwegs dachte er über die unvorhergesehenen Ereignisse des Tages nach: zuerst die kriegerisch aussehende Frau mit ihren verwegenen Behauptungen, und jetzt stimmte etwas mit Elena nicht. Bestand zwischen beidem ein Zusammenhang? Dann sah Kral Merik und Ferndal mit Er’ril am Wagen. In ihrer Mitte saß Elena auf dem Kutschkasten und zeigte ihnen etwas, das sie mit der Hand umfasst hielt.
Kral räusperte sich, und alle Augen schwenkten zu der Gruppe um den Gebirgler herum, die sich rasch näherte.
Er’rils Miene verfinsterte sich, als er die Fremde unter ihnen bemerkte. Sein Gesichtsausdruck verhehlte seinen Argwohn nicht.
Elena beäugte die Fremde ebenfalls forschend. Ihre zusammengezogenen Augen verrieten ihre Verwirrung, doch dann weiteten sie sich vor Überraschung und Freude. »Tante Mikela?« Sie sprang vom Kutschkasten, rannte zu der Frau und warf die Arme um die Fremde, die gar keine Fremde war. Tränen rannen dem Mädchen aus den Augen, als sie sich in die Umarmung der Frau schmiegte. »Ich kann es nicht glauben, dass du hier bist«, schluchzte sie ergriffen und drückte fester, um ihre Fassungslosigkeit zu überwinden. »Du bist wirklich hier!«
Die Frau erwiderte ihre Umarmung nicht weniger leidenschaftlich. »Kind, wie du gewachsen bist!«
»Wer ist diese Frau?«
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