Alasea 02 - Das Buch des Sturms
je eine schlammverschmutzte Hand zu der Kugel. Riemer drückte sein Fleisch gegen den kalten Stein und wusste, dass er das Herz seines Herrn berührte. Er merkte, wie sein Darm und seine Blase sich entleerten. Das war gleichgültig. Die Hitze seines Geistes wurde in den Stein gezogen.
Um das Sakrament zu vollziehen, schloss Mykoff den Kreis. Er griff mit der freien Hand nach Riemers Hand. Jetzt waren die beiden Brüder miteinander und mit dem Stein verbunden. Mit der Berührung von Fleisch und Fleisch war der Bann vollendet, und die Meute wurde wieder in die Welt gerufen.
Riemer sah seinen Bruder an, während der Bann von ihren Körpern Besitz ergriff. Es war wie der Blick in einen Spiegel. Wie schön er war! Riemer grinste, als der Schmerz in seinem Körper wütete. Er beobachtete, wie sich Mykoffs Haut kräuselte, und wusste, dass mit seiner das Gleiche geschah. Schwarze Geschwüre, so groß wie blutunterlaufene Daumen, stiegen aus ihrer blassen Haut auf. Mykoff erwiderte das weißlippige Grinsen seines Bruders.
Die Meute kam!
Bald bedeckten tausende von Geschwüren ihr Fleisch: im Gesicht, an den Armen, der Brust, dem Bauch, dem Hinterteil und den Beinen. Mykoff beobachtete eine besonders große Geschwulst an der linken Wange seines Bruders, die reifte und sich ausdehnte, während, was in ihrem Inneren lauerte, ungeduldig danach drängte, die Jagd zu beginnen. Das Geschwür brach auf, und ein winziger Blutstrahl spritzte heraus. Mykoff spürte einen ähnlich scharfen Ausbruch neben seiner rechten Brustwarze. Es fühlte sich an wie ein Wespenstich.
Bald stach gleichsam ein Schwarm von Wespen auf ihr Fleisch ein.
Die Zwillinge stöhnten in der Ekstase des Sakraments.
Aus dem Geschwür an Riemers Wange kroch ein schwarzer, gegliederter Wurm hervor. Er reckte sich und nickte aus seinem Loch. Bald taten hunderte anderer es ihm gleich. Mykoff war voller Ehrfurcht in die Schönheit seines Bruders versunken; Tränen stiegen ihm bei diesem Anblick in die Augen. Das nackte, fahle Fleisch seines Bruders war durchsetzt von unzähligen dieser sich windenden, suchenden schwarzen Tentakel. Mykoff wusste, dass auch sein Körper mit derselben dunklen Schönheit gesegnet war.
Riemers und Mykoffs Augen trafen sich, und sie wussten, die Zeit war gekommen.
Wie fallende Blätter im Herbst fielen die Würmer aus ihren Löchern und landeten mit leisem Klatschen und Platschen im wässrigen Moder. Dort tranken die süßen Geschöpfe das brackige Wasser und aßen den Flussschlamm. Während ihrer Mahlzeit schwollen ihre Leiber immer mehr an. Bald spross borstiges Haar aus ihren wuselnden Leibern und wuchs immer länger. Kleine klauenbewehrte Gliedmaßen brachen aus ihren Seiten hervor und hoben sie aus dem Schlamm. Mit Tasthaaren versehene Schnauzen und rote Knopfaugen bildeten sich aus und beendeten ihr blindes Grapschen, und blasse, geschuppte Schwänze peitschten hin und her, begierig auf die Jagd.
Übersät mit aufgeplatzten Geschwüren und blutend, betrachteten die beiden Brüder stolz die Armee von Ratten, die um ihre Knie herumwimmelte. Die Meute war fertig.
Der Zwergenherrscher sprach: »Es ist so weit. Möge die Jagd beginnen.«
Bei diesen Worten fielen die Brüder rückwärts in den Schlamm, während ihre Seelen in die Meute eingingen. Mykoff und Riemer waren jetzt eins mit ihren Sprösslingen, tausend Augen, tausend scharfe Zähne, hungrig nach Blut. Sie schickten die Meute die Stufen des Rash’amon hinauf, schwärmten aus durch die unzähligen Risse in den alten Steinen. Aus der Blutigen Spitze fächerten sie in die Festungsanlage aus, dann strömten sie hinaus, weiter und immer weiter, in alle Richtungen, bis sie in die Straßen der schlafenden Stadt Schattenbach gelangten.
Tief unter dem Rash’amon lagen die Leiber der beiden Brüder unverändert im Schlamm ausgestreckt. Ihre Augen waren jetzt blind für den Zwerg, der sich mit einem hämischen Grinsen über sie beugte, doch ihre Ohren konnten ihn noch hören.
»Geht!« flüsterte er, während seine dicken Lippen die Ränder ihrer Ohren streiften. »Bringt mir die Magik!«
Während Tol’chuk ein Fass Wasser durch den Lagerschuppen schleppte, spürte er ein Kribbeln auf seinem Fuß. Als er hinabblickte, sah er, dass ihm eine fette Flussratte über den Krallenfuß krabbelte. Angeekelt und ohnehin schlechter Laune, weil er im Schuppen zurückgelassen worden war, trat er kräftig gegen die Ratte aus, in der Absicht, sie mit einer Kralle aufzuschlitzen, doch
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