Alasea 02 - Das Buch des Sturms
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Der Wolf verschwand im Nebel.
Tol’chuk bemerkte, dass die Stute in die hinterste, dunkelste Ecke des Lagerschuppens geflohen war, doch seine Aufmerksamkeit blieb auf die Tür zum Hinterhof konzentriert. Nebelschwaden drangen in das Lagerhaus vor, suchende Tentakel, die über den Boden glitten und sich zur Decke hinaufkräuselten.
Eine verstohlene Bewegung im Deckengebälk zog Tol’chuks Blick auf sich. Tol’chuk duckte sich, doch dann wurde ihm klar, dass es sich nur um eine Reihe kleiner Ratten handelte, die hintereinander über einen der Eichenbalken huschten, von der nebeligen Türöffnung wegtrippelnd. Irgendetwas hatte sogar diese verschlagenen Tiere in Angst versetzt. Er wollte den Blick gerade wieder abwenden, als eine der Ratten vom Balken stürzte und am Lehmboden des Lagerhauses aufschlug. Ihr Rücken brach mit einem kurzen Knacken, trotzdem versuchte sie noch, sich von der Tür wegzuschleppen, weg vom Nebel, wobei ihre winzigen Krallen über den Boden kratzten.
Was war da los? Die Ratten dort oben gerieten in Panik, stiegen übereinander hinweg, quietschend vor Angst. Zwei weitere Ratten stürzten herunter. Gnädigerweise brachen sie sich durch den Sturz gleich das Genick, sodass ihnen ein Todeskampf erspart blieb.
Die Ratte mit dem gebrochenen Rücken versuchte immer noch zu fliehen. Tol’chuk ging zu ihr und beugte sich über sie. Ihr panisches Kreischen zerrte an seinen Nerven. Sie machte zu viel Krach und übertönte damit, was immer im Hof lauern mochte. Er hob den klauenbewehrten Fuß, um sie zu zertreten, doch die kleine Ratte drehte sich zu ihm um. Ihre winzigen schwarzen Augen waren erfüllt von Schmerz und Angst, und ein jämmerliches Winseln stieg aus ihrer Kehle auf. Tol’chuk zögerte, den Fuß über dem Tier in der Schwebe haltend. Schließlich senkte er den Fuß zähneknirschend und ließ die Ratte unberührt.
Tol’chuk verfluchte sich. Er war schon zu lange unter Menschen. Er bückte sich und hob die verletzte Ratte hoch. Er hasste Ratten, aber noch mehr hasste er es, etwas so Kleines und Ängstliches leiden zu sehen. Unentschlossen, was er mit dem Tier anfangen sollte, ließ er das zitternde Wesen in den Beutel an seinem Schenkel fallen. Es richtete sich darin ein und hörte auf zu kreischen. Es hatte nach einem Versteck gesucht, und jetzt hatte es eins gefunden.
Als es im Lagerschuppen wieder still war, wandte sich Tol’chuk der Tür zu. Die anderen Pferde waren da draußen. Tol’chuk ging zur Wand und nahm eine der Öllampen. Unter dem anderen Arm trug er immer noch das Wasserfass. Das Gewicht dieses festen Gegenstands war ihm so etwas wie ein Anker in dem bedrohlichen Nebel.
Mit erhobener Laterne näherte er sich der offenen Tür. Da fiel ihm auf, dass die Pferde ihm Hof jetzt still waren. Sogar die Ratten oben im Gebälk waren entweder aus dem Lagerschuppen geflohen oder hatten einen Platz gefunden, um sich zu verstecken. Es war, als ob der Nebel nicht nur die Sicht einschränkte, sondern auch alle Laute dämpfte.
Sein rasselnder Atem war das einzige Geräusch in seinen Ohren, während er zu der offenen Tür ging. Er hielt die Laterne in die Nacht hinaus, aber der Nebel wurde nur um so dichter, eine Höhle aus Schwaden um sein Licht herum.
Dann trat eine einzelne Ratte, wie eine Abgesandte des Nebels, in den Schein der Lampe. Das Wort Ratte war jedoch eine völlig unzureichende Beschreibung für das schlammverdreckte Geschöpf vor ihm. Während das Wesen in seiner Tasche einen braunen Pelz und die Größe einer Og’er-Faust hatte, war dieses Tier schwarz wie die Pfützen brennenden Öls tief unter den Höhlen seiner Heimat und so groß wie sein Kopf. Doch das Bedrohlichste an ihm waren die roten Augen. Sie funkelten ihn an, spiegelten nicht das Licht seiner Lampe, sondern leuchteten mit einem inneren Feuer, als ob Blut die Flammen speiste.
Es zischte ihn so boshaft an, dass sich sofort jedes Haar an Tol’chuks Körper aufstellte. Der Rattendämon - und es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass ein solcher vor ihm stand - schlich näher zu ihm heran, die Nase in die Luft gereckt, als ob das Scheusal nicht nur Tol’chuks Geruch witterte, sondern seinen Geist roch.
Tol’chuk wich einen Schritt zurück, dann warf er das Wasserfass auf das Geschöpf. Er zielte geschickt, und das Fass landete krachend auf der Ratte. Wasser spritzte auf, und gebrochene Fassdauben flogen herum. Die Ratte kam unversehrt und entschlossener als zuvor unter den
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