Alasea 02 - Das Buch des Sturms
seine Worte sie schmerzten, aber er, der Mann aus den Bergen, hatte längst die Erfahrung gemacht, dass die Wahrheit oft schwer zu ertragen ist. »Du wärest mir nur hinderlich, weil ich ständig auf dich aufpassen müsste.«
Tol’chuk meldete sich nun zu Wort. »Mich brauchst du nicht zu bewachen, Mann aus den Bergen. Ich bleibe bei dir.«
»Was?« Kral drehte sich schnell dem Og’er zu.
Tol’chuk hielt seinen Herzstein in der Hand. »Das Herz kann den Schlafbann der Bösewächter abwehren. Wenn du Merik findest, brauchst du vielleicht meine Hilfe.«
»Nein, Tol’chuk«, sagte Er’ril und sprach damit aus, was auch Kral dachte. »Deine edle Absicht in allen Ehren, aber deine kräftigen Arme und deine Magik sind am besten eingesetzt wenn du damit Elena beschützt.«
Kral nickte.
Mikela mischte sich in die Auseinandersetzung ein. »Elena ist das Wichtigste …«
»Genug!« Tol’chuks Schrei erschütterte die dünnen Bretterwände. Er hielt den Herzstein von sich; zuerst deutete er damit auf Elena, und der Stein wurde dunkel, die strahlenden Facetten trübten sich. Dann richtete er die Hand zu Kral hin - und der Stein leuchtete strahlend hell auf.
Der Gebirgler wich zurück.
Tol’chuks Arm zitterte vor Inbrunst. »Wie schon seit eh und je befiehlt mir das Herz, wohin ich zu gehen habe. Ich muss bei Kral bleiben.« Seine Augen warnten alle Anwesenden vor weiteren Widerreden.
Seine eindrucksvolle Darbietung hatte alle zum Schweigen gebracht.
»Dann ist das also entschieden«, sagte Mikela und betrachtete ihren Sohn mit kalten Augen. »Kral und Tol’chuk bleiben hier und lenken unsere Feinde ab. Vielleicht gelingt es ihnen, Merik zu befreien, doch falls nicht, wird ihr Tod nicht vergebens sein.« Mikela wandte sich wieder an die anderen. »Bevor wir unsere weitere Vorgehensweise festlegen - gibt es noch jemanden, der lieber bleiben möchte?«
Kral sah einen erhobenen Arm, und der Mund klaffte ihm vor Überraschung auf.
Mogwied stand hinter Elena und streckte die Hand in die Luft.
Elena verschloss die Ohren gegen die lauten Stimmen um sie herum. Die kleine Ratte mit dem krummen Schwanz kuschelte sich tiefer in die Wärme ihrer Arme. Auch sie selbst hätte sich gern irgendwo vergraben, um dieser Aufregung zu entgehen. Sie betrachtete die Umhüllung aus Blättern an ihrem linken Arm. Sie zupfte an einer gewundenen Ranke und folgte ihr zu der Stelle, wo sie aus ihrem Fleisch spross. Wegen dieses Moosgewächses zerfiel die Gruppe. Wie Kral richtig gesagt hatte, war sie ohne ihre Magik lediglich nutzloser Ballast, eine Belastung für ihre Gefährten.
Sie wischte sich eine Träne weg.
In einer einzigen Nacht war alles, was sie gelernt, geübt und geleistet hatte, zunichte gemacht worden. Die Hexe gab es nicht mehr. Sie war nur noch ein junges Mädchen, das bewacht und beschützt werden musste. Sie hatte geglaubt, die lange Reise hätte ihren Geist zu etwas anderem geformt, hätte sie zu etwas Schärferem geschliffen als dem verängstigten Kind, das bei Winterberg durch den brennenden Obsthain geflohen war, doch nun, da ihre Macht von ihr abgefallen war, entdeckte sie, dass ihre Reife allein auf ihrer Eigenschaft als Hexe beruhte. Als Frau war sie immer noch dasselbe verängstigte Mädchen.
Krals tiefe Stimme ließ sie aufhorchen. »Mogwied, du brauchst nicht zu bleiben. Wie solltest du mir nützen?«
Der Gestaltwandler hielt den Blicken der anderen in aufrechter Haltung stand. »Eben! Von welchem Nutzen bin ich denn? Bin ich vielleicht nützlicher, wenn ich Elena begleite? Ich bin kein Kämpfer, der sie beschützen kann. Aber ich habe Augen und Ohren. Und hier in Schattenbach kann ich mich nützlich machen. Ich kann genauso gut wie irgendeiner von euch nach einer Spur von Merik suchen - sogar besser als Tol’chuk! Wollt ihr vielleicht, dass dieser auffällige Og’er durch die Stadt läuft und sich nach Merik erkundigt oder sonstwie nach irgendwelchen Hinweisen forscht? Ich finde, das wäre nicht besonders klug. Wenn Merik schnell gefunden werden soll, und das muss sein, damit es überhaupt eine Chance gibt, dass er der verderblichen Berührung durch den Sucher entgeht, dann werden so viele Augen und Ohren wie nur möglich in den Straßen benötigt. Du wirst mich brauchen. Elena nicht.«
Mogwied zitterte ein wenig, ob vor leidenschaftlicher Überzeugung oder einfach aus Nervosität, war nicht mit Sicherheit zu beurteilen.
Elena zog die Nase hoch, um zu verhindern, dass ihr die Tränen kamen. Wenn
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