Alasea 02 - Das Buch des Sturms
auch sie im Laufe dieser Reise nicht reifer geworden war, so doch offenbar der Gestaltwandler. Der feige Mann hatte einen gewissen Stolz und einen starken Willen entwickelt, vielleicht sogar so etwas wie Edelmut.
»Warum?« fragte Tol’chuk ihn. »Warum willst du dich in Gefahr begeben?«
Mogwieds gestraffte Schultern sackten ein wenig herab. Seine Stimme verlor etwas von ihrer Entschlossenheit. »Ich behaupte nicht, dass ich von einem besonders kühnen Geist durchdrungen bin. Genauer gesagt, wenn es wirklich zum Kampf kommt, werde ich wahrscheinlich die Flucht ergreifen. Ich bin kein Krieger. Es lag an meiner Schwäche und meiner Angst, dass ich meinen Wachposten am Lagerschuppen verlassen habe, als die Ratten kamen. Zu einem kleinen Teil bin ich daran schuld, dass Merik gefangen genommen wurde. Ich möchte zumindest Gelegenheit bekommen, meinen Fehler wieder gutzumachen. Merik ist für mich mehr als nur ein Gefährte. Seit ich ihm das Leben gerettet habe, sind er und Elena die einzigen beiden, die mir wahre Freundschaft bewiesen haben.« Er lächelte Elena verhalten an. »Und in der jetzigen Lage bin ich ihr nicht von Nutzen. Das war ich noch nie.«
Elena öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen. Der Gestaltwandler hatte ihr sehr oft mit einem freundlichen Wort beigestanden und ihre Seele aufgerichtet, wenn sie am Boden war.
Mogwied hielt ihr eine Hand entgegen und sprach weiter. »Aber hier in Schattenbach habe ich möglicherweise zu bieten, was vonnöten ist, um Merik zu retten: ein zusätzliches Paar Augen und Ohren.«
Er’ril sah Mogwied mit gehöriger Hochachtung an. »Du vertrittst deinen Standpunkt sehr überzeugend«, sagte er. »Vermutlich ist es tatsächlich am besten, wenn du bleibst, Mogwied.«
Der Gestaltwandler verneigte sich kaum merklich in Er’rils Richtung.
Elena sah, wie Ferndals bernsteinfarbene Augen Mogwied anfunkelten. Sie bekam einen Teil dessen mit, was der Wolf aussandte: Der kleinste Welpe eines Wurfs stellt sich der Schlange ohne Furcht entgegen. Ferndal war stolz auf seinen Bruder.
Mogwied errötete. Er wandte sich von dem Wolf ab, offensichtlich peinlich berührt durch dessen Lob.
Schließ ergriff Mikela das Wort, um die lange Diskussion zu beenden. »Es ist schon spät. Der Sonnenaufgang ist nicht mehr fern, und wir alle könnten vor dem morgigen schweren Tag ein wenig Ruhe vertragen.«
Zum ersten Mal in dieser Nacht gab es keine Gegenstimme.
Jeweils in die eigenen Gedanken versunken, begaben sich alle zu Bett. Auch Elena stand auf, um sich in ihr Bett im Raum nebenan zu begeben, doch Mikelas Stimme hielt sie zurück. Elena sah sich zu ihr um.
Mikela stand vor Kral, ihre Reittaschen über einer Schulter. »Nimm das. Vielleicht brauchst du es.«
Kral betrachtete missmutig, was sie in der Hand hielt. Er blickte zu ihr auf und sah ihr eindringlich in die Augen. »Dann brauche ich zwei davon«, sagte er. »Für den Fall, dass ich Merik finde.«
Mikela nickte und griff in eine Außentasche ihres Gepäcks.
Elena wandte sich ab, ein Beben im Herzen. Sie erkannte die beiden Gegenstände, die Tante Mi Kral gab: zwei Jadeanhänger in der Form winziger Flaschen.
Später in der Nacht, als alle anderen Mitglieder der Gruppe schon schliefen, war Mogwied auf seinem Feldbett immer noch mit seinen Taschen beschäftigt, um ganz sicherzugehen, dass er auch wirklich alles hatte, was er für die kommenden Tage brauchen würde. Um deren Inhalt noch einmal gründlich zu prüfen, schob er einen aus Eisen gefertigten Maulkorb, der obenauf lag, beiseite. Vor langer Zeit hatte er das Stück aus den Überresten des Schnüfflers, der Ferndal im Bergreich des Og’ers angegriffen hatte, aufgeklaubt. Die Ketten klimperten, als Mogwied das Ding bewegte. Er sah sich um. Niemand war auf ihn aufmerksam geworden.
Während er seine Durchsuchung fortsetzte, stieß seine Hand gegen eine flache Schale aus schwarzem Stein, die tief unten zwischen seinen persönlichen Sachen lag. Mogwied hatte dieses Artefakt unter Vira’nis Habseligkeiten im Lager am Fuß der Berge gefunden und gestohlen. Unter seiner Berührung wurde die Schale kälter, beinahe eisig. Etwas seltsam Erregendes ging von der Steinfläche aus.
Dennoch schob er auch die Schale beiseite. Er wusste nicht, ob sich der Eisenmaulkorb oder die Schale jemals als nützlich erweisen würden, aber er war eine Hamsternatur und sammelte alles, was ihn interessierte. Er setzte seine Suche fort.
Seine Finger wühlten durch den übrigen Inhalt:
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