Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Er schwebte in der Luft und drehte sich um sich selbst. Diesmal hatte Torring mit der Magik, die den Flug des Steins bewirkte, nichts zu tun.
»Nein!« stöhnte er. Nicht in seiner unmittelbaren Nähe! Er kratzte sich an den Ohren, versuchte, die Wahrnehmung nicht an sich heranzulassen. Nicht nach so langer Zeit! Tränen quollen ihm aus den Augen, die seit Jahrhunderten nicht mehr geweint hatten. Er erkannte seinen Fehler, spürte ihn in dem Eis, das seine Fußknöchel umkrallte. Nachdem er das Elv’en-Erbe seines Gefangenen erkannt hatte, hatte er sich des Steins ohne die übliche Vorsicht bemächtigt. Er war sich so sicher gewesen, dass das Erscheinen des Elv’en ein Zeichen war, ein göttlicher Hinweis darauf, dass der Try’sil bald sein Eigen sein würde, dass er in seiner Wachsamkeit nachgelassen hatte.
Er hielt sich die Hand an die Kehle und stöhnte erneut. Nachdem er so lange bedächtig vorgegangen war, hatte er alles in einem Augenblick ungezügelten Hoffens verloren. Verzweiflung breitete sich wie das Eis des Schlamms in seinen Adern aus.
Die Kugel aus Schwarzstein flog langsam auf ihn zu.
Auf der schwarzen Oberfläche war keine Spur mehr von Blutfeuer, stattdessen wurde sie immer dunkler. Die zarten Linien der silbernen Einschlüsse verschwanden, bis die Steinkugel nur noch ein Loch in der Welt war. Sie saugte die Wärme und das schwache Fackellicht aus dem Raum.
Torring wusste, dies war nun nicht mehr eine Kugel aus Stein, sondern vielmehr das schwärzeste aller Augen, ein Teich, durch den ein Ungeheuer aus seiner vulkanischen Höhle herausstarrte.
Es war das Auge des Herrn der Dunklen Mächte.
Auf Torrings verräterische Herzen aufmerksam geworden, war das Schwarze Herz gekommen, um Vergeltung zu üben. Der Try’sil, der Hammer des Donners, war das einzige Werkzeug, das die Bande zerstören konnte, die Torrings Volk zu Leibeigenen des Herrn der Dunklen Mächte machten. Torring war die letzte Hoffnung seines Volkes gewesen. Seine Elementarfähigkeit als Sucher hatte ihn vor der kurzen Leine bewahrt, an der die anderen Zwerge dem Willen des Schwarzen Herzens unterlagen. Mit diesem geringen Spielraum hatte er jahrhundertelang Ränke geschmiedet und auf die Gelegenheit gewartet, sein Erbe zurückzufordern.
Torring brüllte seine Verzweiflung zu der Steindecke des Kellers hinauf. Wie damals den ursprünglichen Verteidigern des Rash’amon antwortete niemand. Doch diesmal waren die Rollen vertauscht. Er war nicht derjenige, der schwarze Magik anwandte und über seine leidenden Opfer lächelte. Nein, diesmal war er derjenige, der zum blinden Himmel hinaufweinte.
In tiefster Verzweiflung starrte er das schwarze Auge an.
Mit seinem Tod wäre alle Hoffnung verloren.
Schicksalsergeben breitete er die Arme aus, während der Schwarzstein sich ihm immer weiter näherte. Zumindest würde der Tod seine Qual beenden. Als er auf Armeslänge herangekommen war, hielt der Stein im Flug inne und verharrte vor ihm in der Schwebe. Torring schloss die Augen und wartete.
Einige Herzschläge lang geschah nichts. Torrings Atem ging stoßweise, und seine Knie schlotterten. Er erinnerte sich, wie er mit dem Gefangenen gespielt hatte. Die Androhung des Todes war oft eine schlimmere Folter als wirklicher körperlicher Schmerz.
Voller Angst öffnete er die Augen.
Die Kugel aus Schwarzstein drehte sich immer noch vor seiner Brust in der Luft, doch jetzt war ihre Oberfläche wieder voller Feuer - allerdings waren es nicht die roten Flammen des Blutfeuers, sondern die mitternächtlichen Flammen des Dunkelfeuers.
Bevor Torring sich darüber wundern konnte, brach das Feuer aus dem Stein hervor und hüllte ihn ein. Jede Faser seines runzeligen Körpers loderte auf. Torring fiel nach hinten und begrüßte den Tod, der ihn endlich heimsuchte.
Doch während der Schmerz immer stärker wurde, schlugen Torrings Herzen immer weiter. Er versuchte, sie mittels Willenskraft anzuhalten, wohl wissend, dass die Kühle des Todes nur durch einen dünnen Vorhang von ihm getrennt war. Er ließ das Leben los, gab seinen Geist dem Grab frei. Da erst erkannte er seinen Irrtum.
Nein!
Er öffnete ruckartig die Augen. Blind für alles außer für das Dunkelfeuer, das über seinen Körper kroch und züngelte, sah er dennoch klar, was geschah. Es war nicht der Tod, den sein Geist willkommen hieß, sondern die sich windende, zuckende Magik des Schwarzsteins.
Er bäumte sich auf und schrie, aber es war zu spät.
Das Schwarze Herz zerstörte ihn
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