Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Grübelei über den seltsamen Eindringling lenkte Torring immer noch ab.
»Du … du wirst mich nie bekommen«, röchelte der Gefangene schwach.
Torring blickte in seine Richtung. Die Saat eines Gedankens keimte in ihm. »Merik, heißt du nicht so?« fragte er und trat zu dem Gefangenen.
Das Gesicht des Elv’en verfinsterte sich. Seine Augen wurden kälter, und Blut tropfte von seinen aufgesprungenen Lippen.
»Es hat den Anschein, dass ein Freund von dir an Orten herumschnüffelt, wo er nichts zu suchen hat«, sagte der Zwerg.
Merik senkte verdrossen den Kopf. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Von dem anderen Elementargeist, dem bärtigen Riesen.« Torring merkte an den Augen des Gefangenen, dass dieser wusste, um wen es ging. »Erzähl mir etwas über ihn.«
»Ich erzähle dir gar nichts«, fauchte Merik ihn an.
»Der Stein kann dich zum Sprechen bringen«, bluffte Torring, »und die Berührung des Feuers wird nicht mehr so angenehm sein wie bisher.« Sobald der Elv’e erst einmal in einen Bösewächter umgewandelt wäre, wäre es ihm nicht mehr möglich, vor dem Zwerg etwas geheim zu halten, aber der Vorgang dauerte zu lang. Torring wollte jetzt gleich hinter die Geheimnisse des anderen Elementargeistes kommen. Er lächelte Merik freundlich an, zufrieden, weil seine Bemerkung ein Erblassen des Elv’en zur Folge hatte. Die Androhung von Schmerz war manchmal schlimmer als das eigentliche Erleiden des Schmerzes. Er schwieg und ließ seine Worte auf den Elv’en wirken.
Schließlich keuchte der Gefangene mit bebender Stimme, die nichts mehr von dem bisherigen Feuer in sich hatte: »Nimm deinen verdammten Stein und …«
»Aber, aber, spricht man so mit seinem Gastgeber?« Torring fuhr mit dem Finger über die sich deutlich abzeichnenden Rippen des Elv’en.
Bei dieser Berührung bekam der Gefangene eine Gänsehaut. Der Elv’e konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Der Umstand, dass seine Schwäche so offenkundig war, entmutigte den Gefangenen vollends; sein kraftlos nach vorn gesackter Kopf verriet Torring das Maß seiner Verzweiflung.
Torring trat zurück und griff nach dem Stein, der halb im Schlamm versunken war. Nur ein Ruck, und der Mann würde singen wie ein Rabe mit gespaltener Zunge. Doch sobald seine Hand die Kugel berührte, wusste Torring, dass etwas nicht stimmte. Sein Atem stockte, und er zog hastig die Hand zurück. Die Oberfläche des Steins, für gewöhnlich warm von seinem inneren Feuer, war so kalt wie die Erde eines winterlichen Grabes. Er hatte ein Gefühl, als ob er eins seiner eigenen erfrorenen, toten Herzen berührt hätte. Der Zwerg erschauderte und wich von dem Stein zurück.
Vor seinen Augen begann der feuchte Schlamm um die Kugel herum zu gefrieren, Eis und Reif glitzerten im Fackellicht. Der Schlamm knirschte, und das Eis breitete sich in Ringen um den Stein aus.
Was war da los? Torring wich vor dem Eis zurück, seine breiten Füße sanken in den Matsch. Bald stand er mit dem Rücken an der Wand.
Der Gefangene, der neben ihm an den Steinen hing, hob den Kopf; sein Blick war misstrauisch und lauernd.
Torrings Augen trafen die seinen. War hier möglicherweise Elv’en-Magik im Spiel? Hatte er die Fähigkeiten dieses Elementargeistes unterschätzt? Oder hatte es etwas damit zu tun, dass der bärtige Fremden sich in den Stein vertieft hatte? Torring sah den Gefangenen eindringlich an. »Was weißt du über das, was hier geschieht?«
Hinter dem von Schmerz glasigen Blick zeigte sich deutlich Verwirrung im Gesicht des Elv’en. »Was …?«
Torring wandte sich ab, da ihm klar wurde, dass der Elv’e nichts von alledem merkte. Der Schwarzstein lag immer noch in der Mitte des Raums, ein Eisteich breitete sich von ihm aus. Als das Eis schließlich die Füße des Zwergs erreichte, gefror der Schlamm um seine eingesunkenen Knöchel herum und umschloss ihn mit seiner eisigen Umarmung. Die Kälte war so beißend, dass sie sich eher wie Feuer anfühlte.
Der Schreck, den diese Berührung dem Zwergenherrscher einjagte, äußerte sich in einem tiefen Stöhnen.
Plötzlich begriff er, was da geschah! O tanzende Götter der Großen Schmiede! Er sackte auf die Knie. Sein linker Fußknöchel, der tiefer als der rechte im Schlamm gefangen war, knackte. Torring war so sehr von Entsetzen erfüllt, dass er nicht einmal den Schmerz in seinem gepeinigten Knöchel spürte.
Mit angstverzerrtem Gesicht sah er, wie der Schwarzstein aus dem gefrorenen und gerissenen Schlamm aufstieg.
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