Alasea 02 - Das Buch des Sturms
nicht. Es schmiedete ihn, veränderte seinen Geist, so wie Torring selbst es so oft mit so vielen anderen gemacht hatte, und verwandelte ihn in eines der Geschöpfe des Herrn der Dunklen Mächte: in einen der abscheulichen Bösewächter.
Während Tol’chuk und Mogwied ihre spärlichen Requisiten auspackten, ließ Kral den Blick durch den Musikantensaal schweifen. Ein kleines Podest, geschmückt mit vergoldeten Rosen, stand an der gegenüberliegenden Wand. Zwei hochlehnige Sessel aus geöltem Ramusholz mit Seidenpolstern standen auf dem Podest, die beiden Thronsessel der Herren der Festung. Ansonsten war der Raum leer; in seinem Marmorboden spiegelten sich die vielen hellen Lampen entlang der Wände. Von der gewölbten Decke hing ein Leuchter aus Kristall und Silber, in dem hundert Kerzen brannten; er wirkte wie ein feines Spinnennetz, das von den Tropfen des Morgentaus glitzert.
Kral konnte sich die Spielleute mit ihren ausgefallenen Darbietungen und die an verschwenderischen Aufwand gewöhnten Gäste vorstellen, die sonst diesen Raum bevölkerten. Es war ein Saal, der eine ungewöhnliche, fantasiereiche Schau verlangte.
Mit zunehmendem Unbehagen und düsterer Miene begutachtete Kral seine eigene Truppe. Mit Kleidung, der man die Spuren der Reise deutlich ansah, und teilweise angesengter Ausstattung wirkten die drei Zirkusleute in dem großen Saal sehr verloren. Hier stimmte etwas nicht. Kral hatte ein Gespür für derartige Dinge, das ihn auch warnte, wenn die Eisschicht a uf einem zugefrorenen See unter seinen Füßen zu brechen drohte.
Tol’chuk trat zu ihm. »Wir sind fast fertig. Mogwied fängt mit ein paar von Meriks Kunststückchen an, um die Herren in Stimmung zu bringen.«
Kral nickte. Sie hatten nicht die Absicht - und auch nicht die Fähigkeit -, eine abendfüllende Unterhaltung zu bieten. Die Requisitenkisten waren mehr oder weniger dekoratives Beiwerk, dürftige Attrappen, um den Schein zu wahren und sich diese beiden hochherrschaftlichen Bürschlein gewogen zu machen.
»Tol’chuk«, sagte Kral. »Sei heute Abend besonders auf der Hut. Irgendetwas stimmt hier nicht.«
Der Og’er nickte. »Ich frage mich auch, aus welchem Grund wir wirklich hierher gerufen wurden. Hast du die Wachen an den Toren gesehen?«
Kral nickte.
In der Nähe wühlte Mogwied in einer Kiste herum. Kral sah, wie er eine kleine Mappe aus Ziegenleder in eine seiner Taschen gleiten ließ. Dann brachte er eine Schale aus tiefschwarzem Stein zum Vorschein und stellte sie auf eine andere Kiste. Kral runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen solchen Gegenstand unter Meriks Magik-Zubehör gesehen zu haben. Allein beim Anblick des Steins kribbelte ihm die Haut. Kral rieb sich die Arme, um die Fassung wiederzuerlangen. Er durfte nicht so nervös sein! Es war schließlich nur eine Schale.
Plötzlich wurden die beiden großen hölzernen Flügel der Haupttür von zwei stattlichen Bewaffneten schwungvoll geöffnet. Auf der Schwelle stand Rothskilder, der Mann, der sie hierher geführt hatte. Hinter dem schmächtigen Burgverweser standen zwei Männer mit erschreckenden Gesichtern.
Wie durch einen Spiegeltrick glichen die beiden Männer einander wie ein Ei dem anderen. Bekleidet mit den gleichen grünen Umhängen und Seidengewändern, betraten sie im Gleichschritt den Musikantensaal. Ihre Gesichter wirkten erschreckend fremdartig, und Kral konnte nicht umhin, sie gebannt anzustarren. Haar, weißer als jungfräulicher Schnee und Augen in einem kräftigen Rosaton, wie die von Höhlenmolchen, verrieten Kral das Erbe dieser beiden. Bei seinem Volk wies hin und wieder ein Neugeborenes solche äußeren Merkmale auf. Sie wurden als schlechtes Omen gewertet. In der Vergangenheit hatte man angenommen, dass solche Kinder von den Eisdämonen berührt worden seien, und man hatte sie auf den schneebedeckten Gipfeln zum Sterben ausgesetzt. Derart tief verwurzelter Aberglaube war schwer auszurotten; selbst jetzt konnte Kral nicht umhin, beim Anblick der herrschaftlichen Zwillinge ein wenig zu erschaudern. Er starrte ihre Haut an, die blass wie gebleichte Knochen war. Es war schlimm genug, ein solches mit einem Fluch beladenes Kind zu gebären, doch gleich zwei davon zur Welt zu bringen erschien Kral wie ein deutliches Zeichen von Unheil für die Dynastie der Festungsherren.
Neben ihm brummte Tol’chuk mit gedämpfter Stimme: »Mir gefällt der Geruch der beiden nicht.«
Kral widersprach nicht, denn der Geruchssinn des
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