Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Er’rils Anweisungen. Lass die Magik einfach erscheinen, aber setze sie nicht frei. Elena atmete tiefer durch und zwang ihr Herz zu einem langsameren Schlag. Sie musste üben, den Fluss ihrer Magik zu beherrschen, da sie spürte, dass morgen ihre Fähigkeiten gefragt sein würden. Mit gesenkten Augenlidern zwang Elena ihre Fingerspitzen durch Willenskraft, sich zu erwärmen. Unter ihrem halb wachen Blick schimmerten die Nägel ihrer rechten Hand in einem sanften Rosaton.
Noch ein bisschen mehr Magik.
Elena stachelte ihren Willen zu einer Intensität an, die ihr selbst ein wenig Angst einjagte. Sie spürte den Ruf der wilden Magik, den verführerischen Chor der Macht. Sie lauschte dem Sirenengesang, der ihr jetzt, nach dem tagelangen Üben mit Er’ril, mit seinen Verlockungen sehr vertraut war.
Elena konnte nicht leugnen, dass ein Teil von ihr - jene Hälfte ihres Geistes, die Hexe war - sich von dem Geflüster der Macht angezogen fühlte. Doch statt diesen Reiz zu missachten, horchte sie auf den Ruf der Macht. Er’ril hatte sie gelehrt, dass das Verdrängen ihrer Wünsche nur der Hexe in ihr mehr Kraft verleihen würde, sodass die Hexe die Übermacht über die Frau erlangen würde.
Das würde sie nicht zulassen!
Sie war Elena Morin’stal, und es waren bereits zu viele Leute in ihrem Namen gestorben, als dass sie ihr Erbe wegen irgendeines Sirenengesangs der Macht aufgeben würde. Sie würde sich nicht der Lust der Magik hingeben.
Sie spreizte die Hand. Ihre Fingerspitzen leuchteten weiß glühend auf, die Farbe wurde aus ihnen herausgebrannt. Sie gestattete sich ein zufriedenes Lächeln. Stäche sie sich jetzt in den Finger, würde die wilde Magik frei aus ihr herausfließen, losgelassen auf die Welt. Und würde sie sich schließlich dafür entscheiden, dies zu tun, dann wäre es die Frau, nicht die Hexe, die die wilde Magik ihrem Willen beugen würde.
Sie ballte die Hand zu einer Faust und spürte, wie die Energien darin eingeschlossen waren, dann öffnete sie die Hand. Ihre Magik knisterte in funkelnden Strömen über ihre Handfläche und den Handrücken.
Plötzlich ertönte eine Stimme hinter ihr. »Was machst du denn da?«
Vor Schreck flammte Elenas Magik stärker auf, wie ein Holzscheit in einem Feuer, das durch einen Luftzug angefacht wird. Sie zwang sie nieder, doch schon hatte ihr die grelle Flamme in die Augen gestochen, wie als Schelte dafür, dass sie ihre Energien nicht freigesetzt hatte. Nachdem die Flamme zu einem Nichts erstorben war, brauchten Elenas strapazierte Augen eine Weile, bis sie die schlanke Gestalt des Gestaltwandlers ausmachten, der hinter ihr stand.
»Mogwied?« Elena schob die Hand, die jetzt wieder dunkel war, zurück in den Handschuh.
»Du steckst dein Schwert in die Scheide, wie ich sehe«, bemerkte Mogwied mit einem Augenzwinkern und Grinsen.
»Wie bitte?«
Er deutete auf die Hand im Handschuh. »Du bedeckst deine Waffe. Ein Schwert in der Scheide wirkt immer irgendwie harmlos, sogar schön, bis die Klinge gezogen wird und ihre tödliche Schneide zeigt.« Mogwieds Augen leuchteten bernsteinfarben im schwachen Licht. »Deine Magik ist vergleichbar mit einem solchen Schwert.«
»Kann sein. Aber ein Schwert lässt sich leichter handhaben«, sagte sie schüchtern. »Es versucht nicht, sich selbstständig in Leute hineinzubohren.«
»Ach, Kind, alles braucht Übung. Ein Schwert ist nur so tödlich wie die Geschicklichkeit dessen, der es führt.«
»Aber jedes Kind kann unabsichtlich mit einem Schwert töten.«
»Das stimmt.« Mogwied griff nach dem Striegel. »Lass mich dir bei der Arbeit helfen.« Er machte sich an Nebelbrauts Mähne zu schaffen, und das mit mehr Hingabe als Elena in ihrem halbherzigen Bemühen.
»Das schaffe ich schon allein«, sagte Elena, aber sie konnte nicht leugnen, dass Nebelbraut die Zuwendung des Gestaltwandlers offensichtlich genoss.
»Ach, lass mich doch«, erwiderte er. »Mir macht es Spaß. Die Pferde verdienen ein bisschen Freundlichkeit nach ihrem langen, arbeitsreichen Tag.« Er warf ihr einen Blick aus den seltsamen geschlitzten Augen zu. »Nun, so viel zum Thema Pferde. Eigentlich bin ich gekommen, um mich zu erkundigen, ob du Gesellschaft brauchst. Du bist mir vorhin so einsam vorgekommen. Warum bist du nicht bei den anderen?«
»Anscheinend hat sich niemand für meine Vorstellungen, was den morgigen Tag betrifft, interessiert.«
»Hmm, das kommt mir bekannt vor.« Er schenkte ihr ein Lächeln. »Auch ich behalte stets das
Weitere Kostenlose Bücher