Alasea 02 - Das Buch des Sturms
vor.
In der Nähe des Wagens brach ein Hufgetrappel los und zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Merik erschien, auf einem gescheckten Fohlen reitend. Der Elv’e schien über seinem Sattel zu schweben, während das Pferd auf sie zugaloppierte. Meriks silberhelles Haar, das zu dem üblichen Zopf geflochten war, wehte hinter ihm wie ein Schweif.
»Was ist los?« fragte Er’ril.
Merik schenkte ihm keine Beachtung, sondern verneigte sich mit tief gesenktem Kopf vor Elena, bevor er antwortete: »Kral hat einen Halt ausgerufen. Er hat da vorn etwas Seltsames entdeckt. Er will, dass wir uns alle um ihn versammeln.«
Elena umfasste ihre Zügel fester. »Was hat er entdeckt?«
Merik schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Er sagt, er habe so etwas zwischen diesen Gipfeln und Pässen noch nie zuvor gesehen.«
Elena fiel die Botschaft des Wolfs wieder ein. An diesem Weg riecht etwas faul. Sie zog sich den Kragen der Reitjacke fester um den Hals.
Er’ril hatte die Hand an den Schwertknauf gelegt. »Reite du voran«, sagte er.
Merik wendete sein Pferd und ritt voraus. Als sie den bunt bemalten Wagen überholten, stellte Elena fest, dass Ni’lahn und Mogwied bereits nicht mehr auf dem Kutschbock saßen. Sie spähte in das von einer Plane überdeckte Innere. Es war leer. Anscheinend hatte sich auch Tol’chuk weiter nach vorn begeben.
Merik ritt auf dem spärlich gekennzeichneten Pfad weiter voraus. Als sie um eine Kurve bogen, fiel der Weg vor ihnen steil ab. Die anderen standen auf einer Anhöhe und erforschten das Tal vor ihnen. Elena und ihre Begleiter stiegen von den Pferden und gesellten sich zu ihnen.
»Kral«, sagte Er’ril und trat neben den Gebirgler, »was hast du entdeckt?«
Kral wies schweigend nach unten.
Elena trat neben Ni’lahn. Die Nyphai machte ein besorgtes Gesicht. Vor ihnen führte der Pfad in steilen Serpentinen zu einem tiefer gelegenen Wald hinunter. Im Licht der untergehenden Sonne versank der Wald unten in Schatten. Es herrschten Schwarzeichen und roter Ahorn vor, deren knorrige und wulstige Baumstämme in scharfem Gegensatz zu den geraden, hoch gewachsenen Kiefern, Pinien und Bergbuchen der höheren Regionen standen.
»Dieser Wald sieht krank aus«, flüsterte Ni’lahn, die sich in sich zurückzuziehen schien, als ob sie mit mehr als nur den Ohren lauschte.
»Was ist das für ein Zeug, das da auf den Ästen wächst?« wollte Mogwied wissen.
Elena war es ebenfalls aufgefallen. Streifen aus gazefeinem Gewebe wehten und bauschten sich von jedem Ast wie gespenstisches Moos. Einige waren zu dicken Kissen verklumpt, andere dehnten sich zu Bändern, die länger waren als die Bäume hoch.
»Was ist das?« wiederholte Mogwied, nun an Ni’lahn gewandt, die Expertin der Truppe in Sachen Wald- und Baumwesen.
Doch die Antwort kam von Tol’chuk, dessen scharfsichtige Og’er-Augen bernsteinfarben im sterbenden Licht leuchteten. »Sieht aus wie Netze.«
Mogwieds Stimme wurde beinahe schrill. »Und wie … wie kommen sie zustande?«
Elena beantwortete dieses Frage. »Sie stammen von Spinnen.«
Ni’lahn ging zu einer einzeln stehenden Eiche, auf der Suche nach Antworten. Der uralte Baum ragte wie ein Turm am Rand des dunklen Waldes auf, getrennt von seinen von Netzen umsponnenen Artgenossen. Nur seine Äste, die mit grünen Knospen besetzt waren, streiften leicht die Arme seiner Gefährten. Etwas hier war erschreckend falsch.
»Ni’lahn!« rief Er’ril. »Warte!«
Sie nahm keine weitere Notiz von ihm, sondern hob lediglich die Hand, um ihm zu bedeuten, dass er schweigen solle und dass sie seine Warnung gehört hatte. Die anderen versuchten immer noch, den Wagen über die Serpentinen zu der Stelle hinunterzubewegen, wo der Pfad in den sonderbaren Wald führte. Sie hörte die erhobenen Stimmen, mit denen sie sich gegenseitig Anweisungen zuriefen. Nur Er’ril und Elena waren ihr gefolgt, als sie zum Waldrand geeilt war.
Als eine Nyphai und damit geschult in der erd- und wurzelgebundenen Magik, galt dem Wald ihre besondere Zuneigung. Ni’lahn konnte nicht untätig bleiben, während dieser über Jahrhunderte gewachsene Wald litt. Sie würde herausfinden, wer oder was seinen Geist verletzt hatte - und dafür sorgen, dass diese Verletzung gesühnt wurde!
Ni’lahn näherte sich vorsichtig der alten Eiche, darauf bedacht, die heruntergefallenen Eicheln nahe des knorrigen Stamms nicht zu zertreten. Es wäre nicht gut, diesen alten Mann des Waldes zu beleidigen - schon gar nicht, wenn sie
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