Alasea 02 - Das Buch des Sturms
kleinere Stücke zerbarst. Der aus der Eisschicht herausragende Arm brach ab wie ein von einer Axt gefällter Baum. Als der Arm auf das Eis fiel, zerbarst auch er in tausend Scherben. Im Inneren der Zwergengestalt war nichts. Es war, als ob das Ungeheuer insgesamt eine hohle Form gewesen wäre. Bald ragte nur noch der obere Teil seines Rumpfes aus dem gefrorenen Wasser heraus wie ein schwarzes Ei, eingebettet in Eis.
Ferndal knurrte immer noch.
Er’ril war unsicher, ob im See noch eine weitere Gefahr lauerte, und er hatte endgültig genug von Burg Drakken. »Das alles gefällt mir nicht«, sagte er. »Lasst uns von hier verschwinden.«
Cassa Dar hatte inzwischen den Try’sil in ein Tuch eingewickelt und übergab ihn Mikelas Obhut. »Ich glaube, das solltet ihr«, sagte sie, den Blick unverwandt auf die Überreste des Schwarzwächters gerichtet. »Hier riecht etwas faul.«
Als ob ihre Worte gehört worden wären, erschütterte ein Dröhnen den Turm. Einer der Kandelaber über dem See brach mit einem Quietschen der Verankerung aus der Decke und schepperte laut auf das Eis. Brocken bemalten Gipses rieselten herab.
Er’ril schob Elena hinter sich. Das Mädchen humpelte, um ihren verletzten Knöchel nicht zu belasten. »Raus!« brüllte er. »Schnell!«
In der Mitte des gefrorenen Sees war der Torso des Zwergs aufgebrochen. Wie eine dunkle Schmetterlingspuppe schälte sich der Stein in sich ringelnden Streifen ab. Aus dem Herzen des üblen Gebildes stieg ein blutiger Dunst über dem Eis auf, gefolgt von einer sich windenden Masse von etwas Leichenblassem. Es drückte sich heraus, schlüpfte aus dem Schwarzsteinleib. Sein Körper, von der Größe eines Kutschengauls, platsche auf das Eis. Roter Dunst dampfte aus seinen Poren, und es schob sich träge dahin. Dann, wie ein frisch aus dem Kokon geschlüpfter Schmetterling, entfaltete es feuchte Flügel, und ein langer, gebogener Hals entrollte sich nahe dem Körper. Es richtete große weiße Augen auf sie, blind suchend. Dann blähten sich große Nüstern und sogen schnuppernd die Luft ein. Es wurde offenbar zu der dicht gedrängten Gruppe auf der Treppe hingezogen. Es breitete die Flügel weit aus und öffnete das nasse Maul, um einen Schrei in ihre Richtung auszustoßen, ein erbärmliches Wehklagen.
Er’ril wartete nicht, bis das Geschöpf zu sich gekommen war. »Zurück, die Treppe hinauf!« befahl er. Er drängte die anderen mit heftigen Armbewegungen zur Eile.
»Nehmt die Doppeltür am nächsten Treppenabsatz«, schrie Cassa Dar, die sich an Jastons Arm die Stufen hinaufmühte. »Eine Abkürzung.«
»Keine Zeit!« brüllte Mikela.
Sie hatten noch nicht einmal ein Dutzend Stufen hinter sich gebracht, als das Ungeheuer erneut schrie. Diesmal war sein Wehklagen noch durchdringender. Nach wie vor zu schwach zum Fliegen, erhob es sich auf ein Gewirr von schlangenartigen Auswüchsen und schob sich mit den Flügeln über das Eis in ihre Richtung. Der große Rumpf bewegte sich nur langsam, doch die Tentakel waren schneller, wie sich schlängelnde Nattern. Wild fuchtelnde Gliedmaßen klatschten die Stufen herauf.
Er’ril drückte Elena an die Wand, während tastende Tentakel um seine Beine peitschten. Er schlug mit dem Schwert um sich und durchtrennte die dicken Auswüchse. Wo sie seine Hosenbeine berührten, rauchten diese. Er verscheuchte das Gewimmel mit Fußtritten von seinen Stiefeln. Das Ungeheuer war voll brennenden Giftes.
Auf der anderen Seite der Treppe focht Mikela mit ihren beiden Schwertern gegen die Tentakel. Sie bot Cassa Dar und Jaston Deckung, während diese beiden langsam hinaufstiegen. Die Klingen waren eine wirbelnde Fortsetzung ihrer Arme. Er’ril war tief beeindruckt von der Kühnheit, mit der sie kämpfte. Giftspritzer rauchten auf ihrer Haut, aber sie schenkte dem keine Beachtung.
Er’ril folgte dem Beispiel der anderen und kletterte die Treppe hinauf, indem er Elena hinter sich Deckung bot. Sie kamen nur langsam voran. Schlangenartige Gliedmaßen waren überall.
Plötzlich stieß Mikela einen durchdringenden Schrei aus. Er’ril blickte über das Meer von Tentakeln und sah, dass sich ein dicker Fangarm um die Hüfte der Schwertkämpferin geschlungen hatte. Eine der Klingen war ihr aus der Hand geschlagen worden, die andere war umklammert von kleineren Tentakeln. Mikela saß fest.
Er’ril entdeckte das zu Boden gefallene Schwert der Frau. Es war nicht weit entfernt von Jastons Füßen gelandet. »Nimm das Schwert!« rief er dem
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