Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Bär angegriffen.
Sie nickte, da sie begriff, dass sie sich beeilen mussten.
Nach einem letzten eindringlichen Blick, als ob er ihre Entschlossenheit abschätzen wollte, machte Ferndal auf den Pfoten kehrt und lief voraus, das abschüssige Ufer hinauf.
Elena hob schnell den glitzernden Gegenstand aus dem Schlamm auf und folgte ihm.
Ni’lahn beobachtete, wie das Spinnenungeheuer die vier Flügel ausbreitete; jeder maß mehr als eine Armeslänge. Im Schein des Feuers schillerten schwarze Streifen wie Öl auf den Membranen. Es wich scharrend von Er’rils Beinen zurück und gab ein Wimmern von sich, das zweifellos von Hunger zeugte. Ni’lahn spürte, dass dieses Geschöpf noch sehr jung war, eine Larve mit Beinen, deren endgültige Form sich erst noch herausbilden würde. Nur durch Nahrungsaufnahme würde sich sein Körper zum nächsten Stadium weiterentwickeln.
So gut es ging, suchte sie tastend nach irgendwelchen Schwachstellen in den Knoten, die sie festhielten, aber die Seile waren dick und fest verschnürt. Selbst Kral, dessen Gesicht vor Anstrengung rot angelaufen war, konnte gegen die widerstandsfähigen Seile nichts ausrichten. Die anderen beiden Männer, Merik und Mogwied, hatten sich anscheinend mit der Sinnlosigkeit eines Kampfes gegen ihre Fesseln abgefunden. Merik stand mit finsterer Miene aufrecht am Pfahl, während Mogwied sich schicksalsergeben gekrümmt hatte.
Schließlich stellte auch Ni’lahn den Kampf gegen die Fesseln ein, da ihr klar wurde, dass selbst mit äußerstem körperlichem Einsatz in dieser Nacht nichts zu gewinnen war. Dennoch war sie nicht völlig bereit aufzugeben. Noch nicht. Vielleicht könnte sie mit List und Tücke …
Dann plötzlich war alles zu spät.
Das Geschöpf, das reglos am Boden gekauert hatte, die Beine unter dem Körper gebündelt, war plötzlich ein wildes Gestöber von Flügeln und zappelnden Gliedmaßen und stürzte sich mit einem Satz auf Er’ril.
Der Präriemann rang hörbar nach Luft, als die Spinne gegen seine Brust prallte. Acht Beine schlangen sich um Er’rils Rumpf und fesselten ihn noch fester an den Holzpfahl. Die mit Widerhaken versehenen Enden der Spinnenbeine bohrten sich ins Holz. Er’rils Gesicht lief dunkelrot an, so sehr war seine Brust abgeschnürt, und zum ersten Mal seit ihrer Begegnung in Winterberg sah Ni’lahn Tränen in den Augen des Mannes.
Die Dämonin namens Vira’ni kicherte, ihre Lippen zogen sich zu einem boshaften Grinsen zurück. »Küss ihn, mein Süßes!« ermunterte sie das Ungeheuer.
Ni’lahn wusste, dass überhaupt nur sofortiges Handeln vielleicht das Allerschlimmste verhindern könnte. Die Worte hüpften ihr wie von selbst von den Lippen. »Aufhören! Ruf dein Tier zurück!«
Vira’ni wandte den giftigen Blick der Nyphai zu.
Ni’lahn fuhr fort, bevor sie die Entschlossenheit verlor. »Dem Herrn der Dunklen Mächte würde es gar nicht gefallen, wenn du Er’ril töten würdest.«
Die Dämonin trat einen Schritt näher zu Ni’lahn. »Und wie kommst du darauf? Bildest du dir ein, die Wünsche meines Herrn zu kennen?«
Aus dem Augenwinkel sah Ni’lahn, dass das Spinnenungeheuer die mahlenden Kauwerkzeuge zur Kehle des Präriemannes senkte, doch sie hielt den Blick starr auf Vira’ni gerichtet. »Ich weiß sehr wohl, dass es dem Schwarzen Herzen um das Mädchen geht«, erklärte Ni’lahn. »Mehr als alles andere will er die Hexe.«
Diese Worte durchdrangen anscheinend den Wahnsinn der Frau. Vira’nis boshaftes, höhnisches Grinsen verging.
»Nur Er’ril weiß, wo sie sich befindet«, log Ni’lahn. »Wenn du ihn tötest, wirst du niemals herausbekommen, wo er sie versteckt hat.«
Vira’ni forderte das abscheuliche Geschöpf mit einem leisen Laut auf, von seinem Opfer abzulassen, und es gehorchte und erstarrte mitten in seinem Tun; seine Kiefer waren nur noch eine Fingerbreite von Er’rils Hals entfernt. Ni’lahn bemerkte, wie Sorge und Zweifel das Funkeln der Rache in der Dämonin schwächten. Vira’ni schien in sich zu schrumpfen. Sie trat einen Schritt zurück.
»Die Hexe … Ja, die Hexe.« Vira’nis Hand wanderte wie ein verirrtes Kätzchen zu ihren Haaren und spielte mit den schwarzen Strähnen. »Wir müssen meinem Herrn die Hexe beschaffen. Ich darf ihn nicht enttäuschen.« Ihr Blick ging wieder zu Er’ril. »Später werden wir unser Spielchen fortsetzen.«
Ni’lahn erlaubte ihren angespannten Muskeln, sich für die Dauer eines Atemzugs zu lockern. Süße Mutter, es hatte
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