Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Flügeln, gegliederten Beinen und mahlenden Kiefern zu bestehen. Aus seinem schwarzen Schlund floss Gift, das zischend auf den Boden tropfte.
Er’ril riss entsetzt die Augen auf.
»Das ist etwas Liebes, das mich nicht im Stich lassen wird!« sagte sie, dann wandte sie sich an das ekelhafte Wesen. »Warum gibst du Er’ril nicht ein Küsschen? Um der alten Zeiten willen?«
Das Geschöpf wimmerte und scharrte mit den acht Beinen im Schlamm. Stielaugen drehten sich in seine Richtung; dann stakste das Ungeheuer schwerfällig auf Er’ril zu.
Obwohl ihm bewusst war, welche Gefahr ihm drohte, war sein Herz hauptsächlich von Abscheu gegen sich selbst ergriffen. Er hätte Vira’ni niemals einfach so verlassen sollen. Er trug der gepeinigten Frau gegenüber eine größere Schuld als irgendjemand sonst. Er’ril schloss die Augen und lehnte sich an den Pfahl, ohne von dem Scheusal Notiz zu nehmen, das sich seinen Beinen näherte und an seinen Stiefeln schnupperte wie ein Hund auf Fährtensuche.
Wer von ihnen beiden, der Herr der Dunklen Mächte oder er, hatte Vira’ni grausamer behandelt?
Im Innersten seines Herzens befürchtete Er’ril, die Antwort sehr wohl zu wissen.
Elena kauerte versteckt am Ufer eines angeschwollenen Baches und hielt die Axt fest umklammert. Dass das rauschende Wasser jedes Geräusch um sie herum übertönte, machte sie nervös und gereizt, und jedes gelegentliche Quaken eines Frosches und die kleinste Erschütterung des Bodens ließen sie vor Schreck zusammenzucken.
Zitternd - nicht nur vor Kälte - presste sie die Zähne zusammen, bis ihre Kiefer schmerzten. Wo war Ferndal? Er hatte sie in einem Gestrüpp von Weißdornhecken am Wasserlauf zurückgelassen, um die weitere Wegstrecke zu erkunden. Obwohl sie wusste, dass ihr Zeitgefühl vor Angst gestört war und ihr die Dauer seiner Abwesenheit viel länger vorkam, als sie wirklich war, war sie sicher, dass der Wolf länger ausblieb als nötig. War irgendetwas geschehen?
Sie hob den Kopf und spähte zwischen den Zweigen der Büsche hindurch. Die Flammen der Lagerfeuer erhellten die Dunkelheit hinter dem Hügel vor ihr. Von ihrem Platz aus sah es so aus, als wäre sie ganz allein am Ufer.
Während sie angestrengt lauschte, hörte sie hin und wieder schroffe Wortfetzen, die von den knisternden Feuern herüberschallten. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Sie ging tiefer in Deckung und schlang sich die Arme um die Knie.
Je länger sie wartete, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass dieses nächtliche Unterfangen sich nur als Fehlschlag erweisen konnte. Wer war sie denn, dass sie glaubte, sie könnte die anderen retten? Ihre Gefährten waren viel kräftiger und geschickter als sie, dennoch waren sie in Gefangenschaft geraten.
Sie überlegte krampfhaft, was sie tun sollte, doch ihr fiel nichts Gescheites ein.
Während Verzweiflung und Sorge von ihrem Herzen Besitz ergriffen, raschelte hinter ihr etwas im Gras. Sie drehte sich blitzschnell um und sah den vertrauten schwarzen Schatten, der am Bachufer entlang zu ihr schlich; seine gelben Augen funkelten. Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich ihrer Kehle.
Der Baumwolf glitt zu ihr. Elena sah, dass er etwas im Maul trug. Es glitzerte im Mondlicht. Als er ihr Versteck erreicht hatte, ließ er den Gegenstand in den Schlamm am Ufer fallen, dann schlapperte er leise Wasser aus dem Bach.
Sie betrachtete den schlammverschmutzten Gegenstand mit ratlosem Gesicht. Was hatte der Wolf ihr da gebracht? Sie musste sich ins Gedächtnis rufen, dass Ferndal nicht einfach nur ein Tier war; ein hellwacher Verstand steckte hinter dieser Wolfserscheinung. Sie beugte sich tiefer über den Gegenstand, und dann formte sich eine Ahnung in ihrem Kopf, wie die Morgendämmerung nach einer unwettergepeitschten Nacht. Sie erhob sich schnell. Natürlich! Sie hielt den Atem an, wagte kaum, es für möglich zu halten. Sie festigte den Griff um die Axt und gestattete einem winzigen Hoffnungsschimmer, in ihre Verzweiflung einzudringen.
Ferndal kam wieder zu ihr, die Augen erwartungsvoll auf sie gerichtet. Sie ließ sich auf ein Knie nieder und streichelte ihn, zum zweiten Mal in dieser Nacht. »Danke, Ferndal«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Er leckte ihr über die Wange, zum Zeichen dafür, dass er ihre Dankbarkeit zur Kenntnis genommen hatte, dann wand er sich aus ihrer Liebkosung. Er sah sie mit glühendem Blick an, und Bilder flössen: Ein Wolf, der hinter dem Rudel herhinkt, wird vom trottenden
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