Alasea 02 - Das Buch des Sturms
wird dich schön satt machen.«
Elena senkte die flammende Hand und erhob sich. Sie musste diesem Gemetzel Einhalt gebieten. Jetzt war nicht die Zeit für verstohlenes Handeln im Verborgenen, sondern für ein kühneres … ein gefährlicheres Vorgehen. Jetzt war die Zeit, um sich zu behaupten.
»Also, noch mal, wo ist deine Hexe, Er’ril?«
»Ich habe dir bereits gesagt …«
Elena legte sich die Axt über die Schulter und trat hinter dem Zelt hervor. »Hier bin ich«, antwortete sie ruhig. Ihre gelassen ausgesprochenen Worte klangen klar und deutlich durch die stille, todesschwangere Nacht. » Eine Hexe willst du? Hier bin ich.«
Er’ril sah, wie das Mädchen hervortrat, und Schreck und Entsetzen quetschten ihm die Luft aus der Brust. Elena hielt Krals Axt über der linken Schulter, und blaue Blitze tanzten um ihre rechte Faust. Dem Kind war offensichtlich nicht bewusst, mit wem sie es jetzt zu tun hatte. Keine der Waffen war schlagkräftig genug, um der doppelten Bedrohung, die hier lauerte, zu trotzen. Mit Vira’nis verquerem Geist und dem Spinnenungeheuer als Gegnern hatte Elena nicht die geringste Aussicht, als Siegerin aus dieser Nacht hervorzugehen, und da die anderen gefesselt waren, konnte ihr niemand zu Hilfe kommen.
Als Elena näher kam, sah Er’ril, dass die Wangen des Mädchens blutig waren und ein seltsames azurblaues Licht aus ihren Augen leuchtete. Welche neue Magik war das?
»Ach, sieh nur, Er’ril! Dein kleines verlorenes Schaf hat den Weg nach Hause gefunden«, bemerkte Vira’ni spöttisch. »Mein Herr hat mir viel über ihre Hexenkunst und Magik beigebracht. Und dem Leuchten ihrer Hand nach zu urteilen, ist sie ziemlich geschwächt. Zumindest war der Tod meiner Kinder im Wald nicht ganz und gar vergebens.«
Er’ril hatte Vira’nis Worten nicht viel entgegenzusetzen. »Zurück, Elena!« rief er. »Das ist eine Falle!«
Kral und Merik wiederholten seine Worte. Nur Mogwied schwieg, geduckt und zitternd.
Elena missachtete sie alle, blickte nicht einmal in ihre Richtung. Sie konzentrierte sich auf Vira’ni. »Ruf dein Scheusal von Kral zurück«, sagte Elena mit leidenschaftlicher Stimme.
Das Spinnenungeheuer war bei dem unvermittelten Auftauchen des Mädchens erstarrt. Eine Armlänge von Krals Stiefeln entfernt hockte das Geschöpf und bewegte sich nicht. Die großen roten Giftbeutel an beiden Seiten seines Kopfes pulsierten.
»Mein Baby?« gab Vira’ni zurück. »Aber das süße Ding ist noch nicht fertig mit Wachsen und braucht dringend Nahrung.« Sie vollführte einen Schwenk mit der Hand, und die Beine des Spinnentiers bewegten sich in Krals Richtung.
»Dann lässt du mir keine andere Wahl.« Elena hob die Axt mit beiden Händen und warf die schwere Klinge mit aller Kraft. Sie flog im Bogen zu dem Spinnentier. Er’ril war erstaunt, dass die Axt so schnell und so genau ihrem Ziel zustrebte. Er vermutete, dass ein Teil der Magik des Mädchens hinter der Wucht des Wurfs steckte. Dennoch, genau wie Er’ril befürchtet hatte, war sie dem Bösen, das hier am Werk war, keineswegs angemessen. Das Spinnentier sprang zur Seite, die Axt verfehlte ihr Ziel und landete zwischen Er’rils und Krals Pfählen, wo sich die Klinge tief in den Schlamm grub.
Während Vira’ni die Flugbahn der Axt mit den Augen verfolgt hatte, war sie kurz zusammengezuckt; dann lachte sie laut auf, als die Klinge harmlos im Boden landete. Sie höhnte, der Axt zugewandt: »Du liebe Güte, ein nettes, munteres Ding, was?«
Nun, da Vira’nis Aufmerksamkeit abgelenkt war, spürte Er’ril zum ersten Mal, dass Elenas Blick eindringlich auf ihn gerichtet war; offenbar wollte sie etwas von ihm. Sobald sie seinen Blick auf sich gezogen hatte, holte das Mädchen einen Gegenstand aus ihrer Brusttasche und rollte ihn schnell zu seinem Pfahl. Im Mondlicht glitzernd, hüpfte er über das Gras und landete neben seinen Zehen. Er betrachtete den schlammbeschmutzten Gegenstand und riss plötzlich die Augen weit auf. Wie -?
Leider waren Elenas verstohlene Bewegungen Vira’nis Aufmerksamkeit nicht vollständig entgangen. »Was soll das?« Die Augen nun auf Elena geheftet, näherte sie sich rückwärts Er’rils Pfahl. »Was ist das für ein Liebesbriefchen, das sie dir da zugesteckt hat?«
Als Vira’ni den Gegenstand genauer in Augenschein nahm und sich dabei ein wenig von Elena abwandte, deutete die Kleine auf die Axt. Plötzlich begriff Er’ril. Aber würde er es noch einmal schaffen? Aus dem Augenwinkel sah er,
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