Alasea 02 - Das Buch des Sturms
wie Kral mit dem Spinnenuntier kämpfte, während dieses an seinen Beinen hochkroch. Soweit es die Seile dem Gebirgler erlaubten, stieß Kral dem Geschöpf fortwährend mit den Knien in den Bauch, um es nicht zur Ruhe kommen zu lassen, aber dieser Kampf würde nicht lange andauern. Er’ril konzentrierte sich auf den Gegenstand neben seinen Zehen. Er musste es schaffen! Es musste klappen!
»Wie niedlich!« sagte Vira’ni, ohne den schlammverschmutzten Gegenstand zu berühren. »Eine winzige Eisenskulptur. Zuerst dachte ich, es handele sich um eine Rose, doch jetzt sehe ich, dass es nur eine kleine Faust ist.« Sie wandte sich wieder Elena zu. »Nicht besonders romantisch, meine Liebe.«
Elena wich ein paar Schritte zurück und hob die rote Faust hoch in die Luft. Knisternde Kraftblitze zuckten in die Nacht hinein.
Vira’ni folgte ihr mit den Augen. »Sehr hübsch. Jetzt sieh mal, was ich kann.« Mit einem langen, scharfen Fingernagel ritzte sie sich einen tiefen Schnitt in den Unterarm. Sofort quoll Blut heraus; Vira’ni verschmierte es auf ihrer Brust und dem Gesicht, bevor es in den Schlamm tropfen konnte. Statt ihre Haut rot zu flecken, schien das Blut Schatten anzuziehen. Um Vira’nis Gestalt herum verdichtete sich die Nacht tintenschwarz, hingezogen zu ihrer nackten Haut und ihr mit der Zärtlichkeit eines Liebhabers anhaftend. Jetzt trug sie die Dunkelheit wie einen Schutzschild.
»Ich gebe dir eine letzte Gelegenheit, meine Freunde freizulassen«, sagte Elena, scheinbar unbeeindruckt von Vira’nis Machtdemonstration.
»Sonst - was?« Inzwischen wanden und ringelten sich Schatten um Vira’ni wie Schlangen. Während sie immer ausgeprägter wurden, verdunkelte sich die Wiese; die Schatten sogen gierig am Feuer und am Mondlicht. Bald knisterten die Schatten vor schwarzen Flammen. »Glaubst du etwa, du könntest das Dunkelfeuer löschen, das das Schwarze Herz mir geschenkt hat?«
»Wir werden ja sehen«, entgegnete Elena. Sie wich noch weiter zurück, und Vira’ni folgte ihr.
»Es ist zu spät, um wegzulaufen, meine Liebe.«
Bemüht, die kriegerischen Worte der beiden Frauen nicht an sich herankommen zu lassen, schloss Er’ril die Augen. Er wusste, dass das Mädchen lediglich versuchte, Zeit für ihn zu gewinnen, indem sie Vira’ni ablenkte. Er durfte diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. Elena brauchte seine Hilfe. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er sich an seinen Kampf gegen die Felskobolde erinnerte. Wie hatte er die Sache mit dem Schlüssel bewältigt? Der Name des Jungen fiel ihm wieder ein, dessen Faust aus Eisen geformt vor ihm lag, des Jungen, den er vor so langer Zeit getötet hatte. Ich brauche dich, flüsterte er im Geiste. Er formte den Namen des Jungen mit der Zunge. Ich brauche dich, De’nal.
Sobald er diese Worte lautlos gebildet hatte, brannte in seinem Armstumpf plötzlich ein stechendes Feuer. Schlaff in den Seilen hängend, keuchte er schwer; seine Beine gaben nach vor Schmerz. Dann verging die Qual so schnell, wie sie gekommen war. Doch danach war manches anders als zuvor. Er’ril spürte jetzt einen Phantomarm, der mit seiner Schulter verbunden war, wie die ferne Erinnerung an seine einstige Gliedmaße aus Fleisch und Knochen. Er öffnete die Augen und sah die Eisenfaust, die vor ihm in die Luft ragte. Wieder war es seine Faust, verbunden mit dem Ende seines Phantomarms.
Er bewegte die Hand und beobachtete, wie die Schlüsselskulptur gehorchte, wie sich die Eisenfinger auf seinen Befehl hin öffneten und schlossen. Er ballte die Hand wieder zur Faust. Er hatte es geschafft!
Als er die Eisenhand senkte, sah er, dass es Elena gelungen war, Vira’ni außer Sichtweite hinter die Zelte zu locken. Er hörte ihre Stimmen in einer lautstarken Auseinandersetzung. Er durfte die winzige Chance, die das Mädchen errungen hatte, nicht ungenutzt lassen.
Ein Stöhnen zu seiner Rechten zog Er’rils Aufmerksamkeit auf sich. Kral war kurz davor, den Kampf gegen das Spinnenungeheuer zu verlieren. Das Geschöpf saß jetzt rittlings auf der großen Brust des Mannes, zappelnd, um sein Gewicht auszuloten, und seine Beine gruben sich in Krals Fleisch. Mit seinem Phantomarm und der Eisenhand griff Er’ril nach dem Holzgriff der Axt. Mit einer Kraft, die die seines wirklichen Arms überstieg, zog er die Klinge aus dem Schlamm und holte zum Schlag auf das Untier aus.
Er traf es nur mit der flachen Seite der Klinge, aber das erwies sich als ausreichend. Der Hieb kam für das Untier so
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