Alasea 02 - Das Buch des Sturms
kleinste Hauch dieses fettigen Dunstes sofort tödlich wirken würde. Die vier Männer wichen von dem Kadaver zurück.
Was sich der toten Hülle entwand, klatschte dampfend in den Schlamm der Wiese. Blasshäutig, wie der Bauch einer toten Schlange, lag es zusammengeringelt da, ein feuchtes Bündel im Schlamm. In seinem jetzigen Zustand war es überaus verletzbar, doch der giftige Dunst umgab es wie eine schützende Hülle.
Die Männer konnten nur zusehen, wie es sich langsam entrollte, Arme ausstreckte, Knie bog. Es drehte sich zu ihnen herum und gewann schnell an Form und Kraft. Was jetzt vor ihnen kauerte, war kein schwaches Baby, frisch aus dem Mutterleib. Vielmehr funkelten bereits List und Tücke in seinen Augen. Es nahm mit dem ganzen Körper Schwung, warf die Füße unter sich und stellte sich auf seine beiden nackten Beine, um sie anzusehen.
»Süße Mutter!« fluchte Kral neben Er’ril; seine Stimme klang heiser vor Fassungslosigkeit. Er senkte die Axt, die er soeben noch hatte schleudern wollen.
Vor ihnen stand ein Wunder. Lange schwarze Haare umrahmten ein Gesicht mit zarter Haut und vollen Lippen; die Kreatur hatte Brüste von der Größe reifer Äpfel und schlanke Hüften über langen, wohlgeformten Beinen. Ihre schlichte Schönheit strahlte wie ein Leuchtfeuer aus den Schrecken ihrer Geburt. Sie war nicht nur mit der gleichen Schönheit wie ihre Mutter gesegnet, sie glich ihrer Mutter wie eine Zwillingsschwester der anderen.
Es war eine zweite Vira’ni.
»Süße Mutter!« fluchte Kral noch einmal und wich jetzt entsetzt zurück, die Axt fest umklammernd.
Aus den Schultern dieser Schönheit sprossen Membranflügel, ganz Knochen und ledrige Haut. Schwarzes Blut floss durch die dicken Adern der Flügel. Ein barbarisches Lächeln teilte die Lippen der Dämonenbrut. Eine rote Zunge, länger als ein Arm, zuckte zwischen spitzen Reißzähnen hervor und wand sich um ihr Gesicht wie eine wütende Viper. Sie zischte sie an und hob die Hände, bewehrt mit rasiermesserscharfen Krallen mit einem abscheulichen fettig-grünen Schimmer an den Spitzen. Was da vor ihnen stand, war ein Geschöpf aus reinem Gift.
Er’ril stöhnte. »Ich hielt sie für verrückt … geistig verwirrt …«
»Was für ein Wesen ist das?« fragte Kral, während sie alle noch einen Schritt zurückwichen und er die Axt abwehrend hob.
»Der Herr der Dunklen Mächte … Er … es ist ihm gelungen, einen Menschen mit einem Skal’tum zu paaren und menschliches Blut mit dem Geschlecht seiner Schreckenswesen zu mischen. Dieses Geschöpf … dieses Ungeheuer ist wahrhaftig Vira’nis Kind.«
Das teuflische Ungeheuer ging in die Hocke, die Arme und Flügel hoch erhoben.
»Passt auf!« rief Merik hinter ihnen.
Alle ergriffen gemeinsam die Flucht.
Es rief hinter ihnen her, und seine Stimme war ein zischendes Knistern: »Warum rennt ihr denn alle weg?« Es war mit einem Sprung bei ihnen. »Loss, gebt mir ein Küsssschen.«
Elena zog sich tiefer ins Herz des Lagers zurück. Wieder befand sie sich zwischen herumliegenden aufgeblähten und geschwärzten Leichen und musste bei jedem Schritt aufpassen, wohin sie den Fuß setzte, während sie immer weiter vor der Dämonin zurückwich. Die Luft stank nach Rauch, Blut und Exkrementen.
Hatte sie für die anderen genügend Zeit gewonnen? Elena wusste es nicht genau, also setzte sie ihren langsamen Rückzug fort, wobei sie Vira’ni mit sich zog.
Sie musterte die Frau. Die Dämonin war umhüllt von Schatten, ihre blasse Haut zerfloss in tintentrüber Finsternis, während schwarze Flammen von Dunkelfeuer über ihren Körper tanzten.
Doch das war nicht alles, was Elena sah. Dank der Spur von Blutmagik, die noch immer ihre Sicht färbte, konnte Elena tiefer ins Innere der Dämonin spähen. Tief in der Brust der Frau flackerte eine winzige weiße Flamme. In dieser Nacht hatte Elena schon einmal solche Flammen gesehen, und zwar nahe den Herzen ihrer beiden Freunde Merik und Kral, und sie erkannte diese kleinen Blüten der Energie.
Das war elementare Magik!
Vira’ni war - vielleicht ohne dass sie selbst es wusste - ein Elementargeist. Über welches Potenzial sie verfügte, vermochte Elena nicht abzuschätzen. Doch die kleine weiße Flamme war nicht allein in der Brust der Frau. Um dieses winzige Flackern herum floss ein Mahlstrom schwarzer Magik und bezog Kraft aus dieser süßen Flamme, während die Flammen des Dunkelfeuers, die auf Vira’nis Haut tanzten, Energie aus dem Licht der Lagerfeuer
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