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Alasea 02 - Das Buch des Sturms

Titel: Alasea 02 - Das Buch des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Buch des Sturms
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schwarzen Haare zu einem langen Zopf zusammengebunden, der ihm bis zur Hüfte hinabreichte, sodass sein Hals frei war und jeder die Tätowierung sehen konnte. Das geschah nicht aus falschem Stolz oder Angeberei mit seinem Erbe, sondern diente als Warnung. Seefahrer waren grobschlächtige Gesellen, und es war gut, wenn ein Mann wusste, wen er beleidigte oder behelligte, um Blutvergießen möglichst zu vermeiden.
    Allein am Bugspriet stehend, betrachtete Kast den Seedrachen; dabei beschattete er die Augen mit der Hand, als ob er befürchtete, das Ganze könnte eine von der Sonne und dem Wasser hervorgerufene Sinnestäuschung sein. Doch der Drache löste sich nicht in Dunst auf und verschwand. Er war so wirklich wie seine eigenen Knochen und Sehnen. Kast betrachtete die Flügelfalten, die in dem Netz verfangen waren, die Andeutung von perligen Zähnen, die aus einer schmalen Schnauze hervorschauten, die Augen wie schwarze Juwelen von der Größe einer Männerfaust.
    Auf S ee aufgewachsen, hätte er niemals vermutet, dass unter den Wellen immer noch solche Wunder verborgen waren. Er hatte Felshaie gesehen, die einen Mann im Ganzen verschlucken konnten, silberbauchige Aale, die länger waren als die Skipperjan, und sogar stachelige Hummer, die einen Mann mit einer einzigen Berührung töteten. Doch noch nie hatte er ein Geschöpf wie diesen Drachen gesehen. Ein solches Ungeheuer erzählte von einer anderen Zeit, einer Epoche, in der Mythen in Blut geschmiedet wurden.
    Während er so über den Anblick nachgrübelte, fuhr er sich mit einem Finger über den tätowierten Meerfalken an seinem Hals. Könnte es sein …? Er erinnerte sich an den Wahnsinn, der in den Augen des blinden Sehers gefunkelt hatte, als er sich auf dem Sterbebett wand. Er erinnerte sich an die mühsam hervorgestoßenen Worte und die Hand des Alten, die ihn im Sterben umklammerte. Kast schüttelte den Kopf, verdrängte die Vergangenheit und ließ die Hand vom Hals sinken. Warum war er den Worten des Wahnsinnigen gefolgt?
    Kapitän Jarplins Stimme polterte plötzlich hinter Kast über Deck. »Hol sie aus dem Wasser!« befahl er. »Du wirst sie töten!«
    Das Drängen in Jarplins Stimme, und weniger der Sinn seiner Worte, riss Kast schließlich aus seiner Betrachtung des Seedrachen. Er blickte zur Reling an Steuerbord, wo sich bereits eine Gruppe von Hilfsmatrosen versammelt hatte.
    Der Kapitän beugte sich über die Reling und brüllte: »Das war’s. Los, Männer, holt sie rauf!«
    Fasziniert von dem neuen Schatz, der da aus dem Meer gefischt wurde, und zufrieden, weil das Blut des erlegten Felshais andere Räuber fern halten würde, bedeutete Kast mit einer Handbewegung einem Kameraden, seinen Posten zu übernehmen, und ging zu der Gruppe von Männern. Angeheuert wegen seiner Fähigkeiten im Spurensuchen und Jagen auf der unendlichen Weite des Meeres, war Kast nicht verpflichtet, bei der Arbeit an den Netzen und Seilen zu helfen. Dennoch gesellte er sich oft zu den Hilfsmatrosen, wenn sie an Deck schufteten, ohne von ihrem offensichtlichen Unbehagen ob der so engen Zusammenarbeit mit einem Blutreiter Notiz zu nehmen. Ihm war es gleichgültig, wen er nervös machte. Solche Dinge fochten ihn nicht an. Er musste einfach regelmäßig unter der Sonne arbeiten, um den Wert seiner Arme und die Kraft seines Rückens immer wieder aufs Neue zu erproben. Ein Blutreiter ließ seine Talente niemals brachliegen.
    Kast schlug einem Gaffer auf die Schulter, einem rothaarigen, glatt rasierten jungen Mann. Seine Stimme forderte Aufmerksamkeit. »Tok, was haben wir da gefangen?«
    Der Junge sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, dann wich er einen Schritt zurück. »Weiß … weiß nicht genau, Herr«, antwortete Tok. »Einen blinden Passagier, vermutlich. Irgendein Mädchen hat versucht, sich vom Schiff zu stehlen.«
    »Ein blinder Passagier?« Kast konnte nicht verhindern, dass seiner Stimme die Geringschätzung anzumerken war. Bei seinen Leuten wurden blinde Passagiere ausgeweidet und den Haien zum Fraß vorgeworfen.
    »Die Hort-Brüder haben sie erwischt, als sie in die Tiefe abhauen wollte«, fügte Tok nervös hinzu.
    Wieder dröhnte die Stimme des Kapitäns. »Nu macht schon, ihr Faulpelze! Holt das Netz ein!« Jarplin bahnte sich mit groben Stößen einen Weg durch die Menge der Hilfsmatrosen. Die breiten Schultern des Kapitäns deuteten auf die immer noch vorhandene Kraft in seinen alten Armen hin, und obwohl sein Haar silbern bis grau war, war Jarplin so hart

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