Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Fäusten. Vielleicht war es an der Zeit, dass sie sich mit einem etwas offeneren Herzen auf das sich anbahnende Frausein freute. Vielleicht war es an der Zeit, dass sie erwachsen wurde und die Welt mit der Weisheit einer Erwachsenen betrachtete statt mit den verträumten Augen eines Kindes.
Sie blickte noch einmal zurück und sah, wie das letzte Boot aus ihrer Sicht entschwand. Nie wieder!
Plötzlich zuckte der Meeresboden unter ihnen, bäumte sich auf und verschluckte sie in einem Sturm aus Schlick und Sand. Conchs Körper zuckte heftig. Die geschuppten Falten, die ihre Füße hielten, klafften auf. Saag-wan wurde von Conchs Rücken geschleudert, dabei wurde ihr der Tangstängel aus dem Mund gerissen; sie wirbelte durchs Wasser.
Das Meer verstopfte wie ein Knebel ihre Kehle, als sie einen Mund voll Salzwasser schluckte. Im tobenden Sandsturm tastete sie verzweifelt nach dem Stängel ihrer Tangschote. Ihre Atemluft durfte auf keinen Fall knapp werden. Sobald ihr Körper etwas langsamer trudelte, griffen ihre Finger zu der Schote, die an ihrem Gürtel befestigt war, und tasteten sich an der Oberfläche entlang, bis sie den unteren Rand des Stängels fanden. Dank der süßen Mutter, er war unversehrt! Eilig löste sie ihn und steckte sich das Ende zwischen die Lippen.
Sie sog die Luft gierig ein, während ihre mit Schwimmhäuten versehenen Hände im Wasser hin und her paddelten, damit sie auf der Stelle blieb. Nun, da sie wieder atmen konnte, konnte sie auch denken. Was war geschehen?
Wirbelnder Sand trübte ihre Sicht. Jetzt schwamm sie rückwärts gegen eine mäßige Strömung an, wobei sie Hände und Füße benutzte und sich vom Wasser den Schlick abwaschen ließ. Wo war Conch?
So plötzlich, wie die Sonne manchmal durch eine Lücke in den Wolken scheint, lichtete sich der Sandsturm immerhin so weit, dass Saag-wan einen flüchtigen Blick ins Herz des Wirbels werfen konnte. Conch, dessen lang gestreckter grüner Körper zusammengerollt war, kämpfte verbissen gegen irgendetwas. Er schlug mit den Beinen, sein Hals war verrenkt. Es sah fast so aus, als würde er gegen sich selbst kämpfen. Dann sah Saag-wan Conchs Gegner. Das Ding war fest um seinen Körper gewickelt, und je heftiger Conch kämpfte, desto hoffnungsloser verfing er sich im Griff seines Widersachers.
Ein Netz! Eine Schlinge, im Sand ausgelegt, um ihn zu fangen!
Während Conch kämpfte, wandte sich ein einzelnes schwarzes Auge in Saag-wans Richtung und heftete den Blick auf sie. Für einen kurzen Moment unterbrach er seinen Kampf und hing reglos in dem verwickelten Netz. Flieh!, schien er ihr zuzurufen. Ich bin verloren.
Dann verschluckte der Sand ihren lieben Freund.
Nein! Saag-wan schwamm in den Sandsturm, wie wild paddelnd. Sie hatte ein Messer und eine Betäubungswaffe an ihrem Gürtel. Sie würde Conch nicht einfach seinem Schicksal preisgeben. Sie schuf sich strampelnd und fuchtelnd einen Weg durch die Wolken von Schlick. Der Kampf gegen das trübe Element erschien ihr unendlich. Doch mit einem Mal war sie frei, schwamm wieder in hellem Wasser, von der Sonne beschienen, hatte die Mauer aus wirbelndem Sand hinter sich gelassen. Sie drehte sich um. Sie hatte die Wolke von Schlick überwunden. Doch wo war Conch?
Über sich gewahrte sie eine Bewegung. Sie blickte hinauf und sah, dass ihr Freund als festgezurrte Kugel in dem ihm eng anhaftenden Netz gefangen war und zur Wasseroberfläche gezogen wurde. Die Bootsrümpfe hatten sich jetzt im Kreis um den aufsteigenden Drachen formiert.
Süße Mutter, bitte, lass das nicht geschehen!
Saag-wan stieg, so schnell sie konnte, an die Wasseroberfläche, aber sie kam zu spät. Sie hatte zu viel Zeit im Kampf gegen den wirbelnden Sand verloren. Sie musste mit ansehen, wie Conch an die Oberfläche gezogen wurde; ihr Herz pochte bis in die Ohren.
Sie trat mit den Füßen aus und näherte sich den Bodenplanken der Boote. Sie durfte nicht aufgeben. Sie wählte das größte Boot und glitt unter dessen Kiel. Mit einer Hand tastete sie sich an der mit Muscheln verkrusteten Schiffswand nach oben, bis ihr Kopf im Schatten der bauchigen leewärtigen Bootsseite auftauchte.
Plötzlich drangen Worte kehliger Stimmen an ihre Ohren. »Nu schau dir die Größe von diesem Viech an!« rief jemand beinahe direkt über ihr.
Saag-wan ging etwas tiefer, sodass nur noch ihre Augen und Ohren über Wasser waren. Sie sah, wie Conch sich in dem verworrenen Netz schwerfällig hin- und herwarf; offensichtlich ließen seine
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