Alasea 03 - Das Buch der Rache
damit, in den weiten blauen Himmel zu starren.
Beim Studieren des Horizonts fühlte Pinorr erneut die Sturmwolken, die sich dort zusammenbrauten und nun schon näher rückten. Er witterte Regen, Blitze und noch etwas anderes, etwas Leises, das er nicht zu benennen wusste. Er legte die Finger auf den Meerfalken an seinem Hals. Was auch immer die Quelle dieses fremden Geruchs sein mochte, nur ein Hauch davon ließ die Farben seiner Tätowierung schon wie Fackeln brennen.
Während er die Flügel des Falken nachfuhr, erinnerte sich Pinorr an Scheschons geschnitzten Seedrachen und die kleine Reiterin auf dem Tier. »Sie kommen«, hatte die Kleine behauptet. Aber wer? Handelte es sich bei ihren Drachenfantasien um mehr als nur verwirrte Gedanken? Hatte das Kind gar das Geschenk der Rajor Maga geerbt? Enthielten ihre Worte vielleicht doch einen Funken Wahrheit?
Plötzlich ertönte eine Stimme hinter ihm. Rau und krächzend bedrängte sie ihn. »Schamane Pinorr, du musst kommen, schnell.«
Pinorr schreckte aus seinen Gedanken auf. Überrascht stellte er fest, dass die Sonne schon weiter über den Himmel gewandert war. Wie viel Zeit hatte er in diesem Trancezustand verbracht? Er drehte dem Meer den Rücken zu und fand sich der gebeugten Gestalt der Mader Geel gegenüber. Ihr silbernes Haar war zu einem strengen Zopf geflochten, was auf ihre Vergangenheit als Meisterin des Schwertes schließen ließ. »Was ist?« fragte Pinorr verärgert.
»Scheschon«, zischte die alte Frau und bedeutete ihm, ihr zu folgen.
»Was ist geschehen?«
»Der Kielmeister wurde ihres Geplappers in der Küche überdrüssig und…«
Pinorrs Herz krampfte sich in der Brust zusammen. »Was hat er getan?«
Mader Geel lief voraus. »Das Kind ist unverletzt. Der Kielmeister hat ihre kleine Schnitzerei gegen die Wand geworfen, und die Figur zerbrach in tausend kleine Stücke. Aber dann hat das Kind geschrien und getobt und den Kielmeister angegriffen. Sie hat ihr kleines Messer tief in seine Hand gerammt. Ich habe sie schleunigst aus der Küche bugsiert, damit sie nicht noch Schlimmeres anrichten konnte, aber beruhigen können habe ich sie nicht. Und ich habe Angst vor Ulsters Antwort darauf.«
Pinorr hatte die gebeugt gehende Frau mittlerweile überholt und lief auf die Kabinen zu. Sein Sichtfeld war vom Hass arg eingeschränkt. Nun war Ulster zu weit gegangen. Scheschon bedeutete Pinorr alles. Sie war die Einzige, die ihm von seiner Familie noch geblieben war, und er würde nicht zusehen, wie die kleinliche Rachsucht des Kielmeisters ihr Schaden zufügte. Pinorr riss die Luke zum Unterdeck auf. Wenn Ulster Krieg wollte, dann sollte er ihn haben!
Während er die Stufen hinunterstürmte, gab er allen Göttern des Meeres ein Versprechen: Noch bevor die Sonne wieder aufging, würde entweder er oder Ulster tot sein.
14
Kast schob den Teller mit gedämpften Klaffmuscheln fort. Er verspürte keinen Appetit. Nach dem, was er an diesem Morgen gehört hatte, drehte sich in seinem Kopf noch alles. Ihm gegenüber rollte Saag wan eine gekochte Seeknolle lustlos über den Teller. Sie war genauso wenig wie er am Essen interessiert. Sie blickten sich über die Teller hinweg an. Keiner von beiden sah sich in der Lage zu sprechen.
Nach ihrer Zusammenkunft mit den Ältesten und der Enthüllung des alten Gemäldes, hatte sich der Rat zum Mittagsmahl zurückgezogen, bevor die Debatte erneut aufgenommen werden sollte. Der Wachmann Bridlyn hatte Saag wan und Kast indes in diesen kleinen Speiseraum geschoben.
Das Zimmer wirkte behaglich mit seinem kleinen Tisch aus glatter Koralle und den Stühlen, die man mit Kissen aus weichem Seemoos gepolstert hatte, und an den Wänden hingen aus Schilfrohr gewebte Bildteppiche, die verschiedene Meerblicke darstellten. Obzwar das Zimmer hübsch gestaltet war, fühlte sich Kast eingeengt. Es schien mehr eine Zelle als ein Zimmer zu sein, besonders jetzt, da Kast den ganzen Morgen im Ratssaal verbracht hatte, der einen so offenen und weiten Ausblick ins Meer bot. Noch dazu hatte Bridlyn ihnen zu verstehen gegeben, dass er vor der Tür Wache halten würde.
Kast rieb sich die Bartstoppeln am Kinn. Er musste das wachsende Schweigen brechen, bevor es sie beide ertränkte. Er nickte zu der verhangenen Wand, und fragte etwas, was ihn schon beschäftigte, seitdem er hier angekommen war. »Wie ist es den Mer’ai gelungen, die Leviathane so abzurichten, dass sie sie in sich aufnahmen?«
Saag wan zuckte mit den Schultern. »Die Drachen
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