Alasea 03 - Das Buch der Rache
schließlich überlegen. Warum sonst sollten sie sich vor ihnen verstecken? Sie gelangten zu der Überzeugung, dass sie die Herrscher des Meeres waren.«
Meister Edyll schüttelte den Kopf und schauderte kaum merklich. »Schon bevor unser Volk die Küsten verließ, wurden diejenigen, die die Regeln brachen, verbannt, und dies wurde auch unter den Wellen so gehandhabt. Es war ein grausamer Akt. Weit weg von den Drachen, verloren die armen Seelen ihre Meeres Magik, und sie bewegten sich wieder wie gewöhnliche Menschen. Ihre Mer’ai Merkmale verblassten und verschwanden irgendwann völlig, und damit waren sie dazu verdammt, für immer an Land zu leben. Es war die größte Strafe ewige Verbannung.«
Kast sah das Entsetzen auf Saag wans Gesicht und gewann einen Eindruck, was eine solche Strafe für ein so fest zusammengewachsenes Volk bedeutete.
Meister Edyll ließ seine Worte erst wirken, bevor er seine Geschichte beendete. Als er die Stimme wieder erhob, klang sie hart wie Granit. »Ich sage euch dies alles, weil ich euch warnen möchte. Ihr müsst sehr vorsichtig sein bei dem, was ihr vorhabt. Seit wir vor den Horden Gul’gothas auf der Flucht sind, gibt es keine solchen Verbannungen mehr, weil die Verbannten uns an den Herrn der Dunklen Mächte verraten könnten. Aber das bedeutet nicht, dass wir weniger streng mit den Abtrünnigen geworden wären, nur für jene, die unsere Regeln nicht befolgen« Er sah erst Saag wan an, dann Kast. »sind die Strafen noch immer hart.«
»Nun tötet ihr sie«, stieß Saag wan hervor.
Ihre Worte verblüfften Meister Edyll ein wenig, sein blasses Gesicht rötete sich. »Dann weißt du es bereits?«
»Bei den Völkern an der Küste erfuhr ich, dass ich die erste Mer’ai war, die seit über fünfhundert Jahren dem Meer entstieg. Mir schwante bereits, dass die Geschichten von der Verbannung eine weitaus schlimmere Wahrheit überdecken sollten.«
»Lügen sind oft weniger schmerzhaft als die Wahrheit.«
»Deshalb wurde die wahre Geschichte unseres Volkes auch verschwiegen«, meinte Saag wan traurig.
»Wie schon gesagt, wir konnten unserem Erbe nicht so einfach entkommen. Die Vergangenheit kann einen auf gewisse Weise erdrücken, wenn man sie missachtet.«
Schweigen machte sich im Raum breit.
Schließlich erhob sich Meister Edyll mit einem leisen Stöhnen und rieb sich die alten Knie. »Genug geredet. Es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen.«
Kast stand ebenfalls auf, das verlangte der Respekt gegenüber dem alten Mann. Saag wan blieb mit verbissenem Gesichtsausdruck sitzen. Sie konnte ihren Ärger nicht verbergen. »Ich habe genug von diesen Ratssitzungen.«
Meister Edyll nickte. »Das habe ich an manchen Tagen auch… aber zum Glück gehen wir jetzt nicht dorthin.«
Seine Worte ließen Saag wan aufblicken. »Wohin dann?« fragte sie vorsichtig.
»Es wird Zeit, dass ich euch bei der Flucht helfe.«
Kast stolperte auf dem Weg zur Tür. »Wie bitte?«
»Der Rat hat sich bereits erneut beraten und will euch untersagen, den Leviathan zu verlassen. Ich habe meine Stimme verweigert.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir müssen uns beeilen und euch beide hier hinausbringen.«
Saag wan war bereits auf den Füßen und folgte ihm. »Aber, Onkel, du gehörst dem Ältestenrat an!«
»Nein, ich bin nur ein alter Mann. Manche würden vielleicht sogar sagen, ein törichter alter Mann. Doch was eure Angelegenheit betrifft, ist der Blick des Rates von der Furcht vor dem Unbekannten umwölkt. Sie würden sich lieber unterm Meer verstecken, als eine Veränderung zu riskieren.«
Kast ergriff das Wort. »Was sollen wir tun?«
Der alte Mann sah ihn mit müden Augen an. »Ihr sollt dein Volk suchen. Führt den Traum zu Ende, den unsere Vorväter zu träumen begannen.«
»Was meint Ihr damit?«
»Eine Zeit des Blutvergießens und des Kampfes kommt auf uns zu, so wie zur Zeit der Regentschaft König Raffs.« Meister Edyll legte die Hand an Kasts Brust. »In deiner Kriegerbrust schlägt das Herz eines Mannes des Friedens. Befreie unser Volk, unser beider Völker, von dem Erbe des Hasses und des Krieges. Zeig uns den Weg zum anhaltenden Frieden.« Mit diesen Worten wandte sich Meister Edyll um und ließ die Tür öffnen.
Saag wan und Kast folgten ihm, und die junge Mer’ai nahm zum ersten Mal Kasts Hand in die ihre. »Es scheint, ich bin nicht die Einzige, die dein wahres Herz kennt«, murmelte sie.
Kast starrte auf ihre Hand, die wie ein zarter Pfirsich in seinem Griff aus Granit
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