Alasea 03 - Das Buch der Rache
alter Freund euch geschickt hat.«
Saag wan blickte auf die erhobenen Klingen. Die Worte des Großkielmeisters waren eine klare Aufforderung, aber sie zögerte trotzdem. »Wir wissen dein Angebot zu schätzen«, sagte sie, dann deutete sie auf den Drachen. »Aber mein Reittier ist schwer verwundet. Ich muss dich zuerst um einen Gefallen bitten.«
Um sie herum begann erneut der Donner zu grollen. »Welchen Gefallen?« fragte der Großkielmeister ungeduldig.
»Der Drache braucht einen Heilkundigen.«
Der Anführer der De’rendi nickte zum Schamanen des Schiffes hinüber. »Bilatus ist der Heiler auf diesem Schiff, aber seine Künste dienen für gewöhnlich den Menschen und nicht den Drachen.«
Der beleibte Schamane nickte heftig und wandte den Blick nicht von dem dampfenden Haufen schwarzer Schuppen und silberner Krallen. »Ich kenne keine Kräuter oder Salben, die einem solchen Tier helfen könnten. Ich würde ihm vermutlich mehr Schaden zufügen als Heilung.«
Saag wans Mut sank bei dem Gedanken, den verletzten Drachen allein und unversorgt auf dem Deck zurückzulassen. Was geschah, wenn eine Welle ihn über Bord spülte? Sie warf einen Blick zurück zu ihrem großen Gefährten. Zwei weiße Dampfsäulen stiegen aus den zitternden Nüstern, aber die Augen hielt er weiterhin geschlossen.
Als eine Hand ihre Schulter berührte, fuhr sie erschrocken zusammen. Es war der Großkielmeister; ganz leise war er an ihre Seite gekommen. »Hab keine Angst, Saag wan von den Mer’ai. Dein Drache wird hier sicher sein. Ich habe euch willkommen geheißen, und solange diese Angelegenheit nicht angehört und entschieden ist, wird niemand es wagen, meine Einladung zu missachten. Wir werden dein Reittier mit dicken Seilen an Mast und Reling festbinden. Solange die Drachenherz nicht sinkt, wird dein Tier hier in Sicherheit sein.«
»Danke.«
Der Großkielmeister trat näher an den Drachen heran und streckte eine Hand aus, um ihn zu berühren.
»Vorsicht, mein Großkielmeister!« rief der Schamane von hinten.
Der breitschultrige Mann schenkte der Warnung jedoch keine Beachtung und legte die Hand auf den nassen, geschuppten und gefalteten Flügel. »Ich hätte mir niemals träumen lassen, einmal ein solches Wunder zu erleben.« Er schüttelte den Kopf und zog die Hand weg. Als er zu seinen Männern zurückkehrte, glaubte Saag wan, den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht zu erkennen.
»Kommt mit«, sagte er, als er an ihr vorbeiging.
Diesmal gehorchte sie ihm, und sie fühlte, wie ihr Respekt vor diesem Mann wuchs. Sie verstand nun, warum Pinorr in den Großkielmeister solch großes Vertrauen setzte. Keine Frage, in seinen Adern floss reiner Stahl, aber Saag wan fand auch, dass eine gewisse Leidenschaft und Neugierde aus seinen Augen leuchtete.
Zusammen mit Scheschon, die nicht von ihrer Seite wich, folgte Saag wan dem Großkielmeister. Schamane Bilatus ging neben dem Anführer und blickte fortwährend auf die Besucher zurück, während sie in den Bauch des Schiffes hinunterstiegen.
Der Großkielmeister führte den Zug eine kurze Stiege hinunter und dann einen breiten Flur entlang. Schließlich bog er in einen länglichen Raum mit Tischen und Bänken ein. Von den Balken an der Decke hingen Lampen, die im Einklang mit dem wogenden Schiff hin und her schaukelten. Der Großkielmeister drehte sich der versammelten Mannschaft zu. »Ihr alle habt eure Befehle und Posten«, donnerte er. »Wollt ihr mein Schiff im Sturm sinken lassen, weil ihr euch plötzlich in einen Haufen gaffender Faulpelze verwandelt habt? Seht zu, dass ihr auf eure Plätze kommt!« Einem aus der Mannschaft winkte er zu, es war ein gut aussehender Mann, fast so groß wie der Großkielmeister. »Hant, du bleibst hier.«
»Ja, Großkielmeister.« Seine Augen blitzten begeistert auf.
Plötzlich bemerkte Saag wan, warum ihr der Mann so bekannt vorkam. »Ist das dein Sohn?« fragte sie.
»Und der Erste Maat der Drachenherz«, verkündete der Großkielmeister stolz. »Kommt. Wir werden uns in meine Kajüte zurückziehen und die Angelegenheit unter uns besprechen.«
Sie nickte und fand sich bald in einem geräumigen Raum wieder. Der Ort wirkte warm und einladend. An einer Wand reihten sich Regale aneinander, die übervoll waren mit altem Papier und zerknitterten Schriftrollen. Daneben stand ein Schreibtisch, auf dem ein dickes Buch aufgeschlagen lag. Vor einem richtigen Steinkamin standen zwei weich gepolsterte Stühle, und ein dicker Eisenrost vor dem Kamin
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