Alasea 03 - Das Buch der Rache
junge Erste Maat der Drachenherz warf einen Blick zu seinem Vater. Erst als der Großkielmeister nickte, löste Hant die Arme des kleinen Mädchens von seinem Hals. Er ging zu Saag wan und kniete sich mit dem Mädchen im Arm auf den Boden. »Welchem Zweck soll das Kind dienen?« fragte er.
»Schamane Pinorr schickt sie als Beweis dafür, dass er unser Anliegen unterstützt.« Saag wan erhob die Klinge und stieß sie in des Mädchens Brust. »Und als Opfer.«
Scheschon schrie laut auf, ihre kleinen Arme zuckten auseinander.
Hant reagierte schnell. Er sprang mit dem Mädchen im Arm zurück, wodurch der Dolch aus der Brust des Kindes gezogen wurde. Bevor Saag wan sich einen Millimeter bewegen konnte, hatte sie schon ein Schwert an der Kehle. Den Dolch ließ sie fallen. Klirrend landete er auf dem Deck. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt, nun schwanden ihre Kräfte, und sie sank auf die Knie. »Ich… ich hatte keine Wahl.«
Das Schwert blieb an ihrem Hals, der Großkielmeister hielt es in der Hand. »Welch eine Abscheulichkeit!« brüllte er sie an, während er sich über sie beugte. »Du kommst und bittest uns um eine Gunst und glaubst, dass du mit dem Mord an einem unschuldigen Kind unsere Herzen gewinnen kannst?«
Tränen liefen über Saag wans Gesicht, als sie aufblickte. »Es war Schamane Pinorrs eigener Vorschlag.« Die Mer’ai sah zu, wie Hant das regungslose Kind vorsichtig auf das nasse Deck bettete und Bilatus sich nervös neben das blasse Mädchen kauerte.
»Du lügst«, herrschte der Großkielmeister sie an. »Pinorr würde so etwas niemals tun. Die Geschichten über dein Volk waren schon immer grausam! Aber dass ihr so barbarisch seid, hätte ich niemals vermutet.«
»Vater!« rief Hant plötzlich. »Das Kind lebt!« Der Sohn des Großkielmeisters hatte sich über das Mädchen gebeugt. Er hatte Scheschons Kleid aufgerissen, und mit einem Stofffetzen davon wischte er nun das Blut von ihrer weißen Brust. Ihre Haut war unverletzt. »Da ist keine Wunde!«
Saag wan schluchzte erleichtert auf. »Das liegt am Drachenblut.«
Bilatus nickte. »Das Blut dieser Tiere wird wegen seiner heilenden Eigenschaften geschätzt. Aber den De’rendi ist es verboten, einen solch verfluchten Balsam zu verwenden. Das ist eines unserer ältesten Gebote. Die Meeresgötter verbieten es.«
Hant rieb die Hände des Kindes, aber Scheschon blieb bewusstlos liegen. »Wenn das Blut sie vor einer ernsten Verletzung bewahrt hat, warum wacht sie dann nicht auf?« fragte er mit besorgter Stimme.
Alle Augen waren auf Saag wan gerichtet.
Der Großkielmeister nahm die Klinge von ihrem Hals, aber das Feuer in seiner Stimme war noch nicht erloschen. Er würde ihrem Leben kein Ende setzen, solange er keine Antwort auf seine Frage hatte. »Was hast du getan?«
»Das habe ich doch schon erklärt. Es war Schamane Pinorrs Plan. Er wusste genau, dass eine Klinge, die mit Drachenblut getränkt ist, seine Enkelin nicht töten würde. Die Magik schützt sie vor einer tödlichen Wunde. Aber ich verstehe nicht…« Saag wan deutete auf das schlaff daliegende Kind. »Sie sollte eigentlich unverletzt und munter sein. Ich weiß nicht, warum Scheschon nicht aufwacht.«
»Was hast du erwartet?« wollte der Großkielmeister wissen.
Taub für seine Worte, starrte Saag wan auf das blasse Mädchen. »Pinorr hat zu viel Vertrauen in die alte Geschichte gesetzt, die uns der Rat erzählte, die Geschichte über die Entstehung unserer Völker. Der erste Mer’ai, unser Vorvater, entstand angeblich aus einer wilden Mischung aus De’rendi und Drachenblut. Bis zum heutigen Tag brauchen wir die Magik der Drachen, um unsere gegenwärtige Gestalt beizubehalten.« Saag wan hob die mit Schwimmhäuten versehene Hand. »Mer’ai, die aus dem Meer verbannt werden, verlieren am Ende ihre charakteristischen Merkmale und werden zu gewöhnlichen Männern und Frauen.«
»Ich verstehe das nicht«, warf Hant ein. »Was willst du damit sagen?«
Gerade als Saag wan zur Antwort ansetzte, stieß Scheschon einen Seufzer aus. Die Kleine auf dem Boden begann zu zucken, und ihre Arme schienen sich gegen eine unsichtbare Bedrohung zu wehren. Dann schlug sie die Augen auf, und Hant half ihr, sich aufzusetzen. Scheschon starrte erst die Umstehenden an und dann hinab auf ihre Brust. Sie rieb sich die Stelle, wo das Messer sie getroffen hatte. »Hier kitzelt es«, sagte sie.
Saag wan atmete erleichtert aus. »Scheschon! Der Süßen Mutter sei Dank.«
Die Hand des Mädchens wanderte
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