Alasea 03 - Das Buch der Rache
zum Gesicht. »Hier kitzelt es auch.« Scheschons Finger fuhren über das linke Auge, über die Wange und hinunter bis zu den Lippen. Sie lächelte. Es war ein vollständiges Lächeln nicht einseitig. Die Seite ihres Gesichtes, die vorhin noch tot und schlaff herabgehangen hatte, war nun erwacht, vom Drachenblut geheilt. Scheschon fühlte die Veränderung. Sie nahm die Hand nicht von der Wange, die Augen voller Staunen weit aufgerissen.
Plötzlich fegte ein Windstoß über das Schiff hinweg, und schneller als der Flügelschlag eines Vogels klappten durchsichtige Lider vor Scheschons Augäpfeln hoch und schützten die empfindlichen Sehorgane des Kindes gegen den stechenden Regen.
Saag wan sog die Luft geräuschvoll ein. Sie war die Einzige, die dieses Ereignis beobachtet hatte.
»Was ist?« fragte der Großkielmeister, denn er hatte das Erstaunen bemerkt, das Saag wan durch die Glieder gefahren war.
Saag wan richtete sich auf und ging zu dem Mädchen. Sie war zu fassungslos, als dass sie zu hoffen wagte, zu verblüfft, um etwas zu sagen.
Hant griff nach seinem Schwert, um sich gegen Saag wan verteidigen zu können. Offenbar fürchtete er einen weiteren Anschlag auf das Kind. Aber der Großkielmeister winkte ihn zurück.
Als die Mer’ai neben dem Mädchen stand, nahm sie zärtlich Scheschons Hand. »Pinorr hatte Recht«, flüsterte sie.
»Womit hatte er Recht?« fragte der Großkielmeister.
Saag wan hob die Hand des Kindes hoch und spreizte die Finger auseinander, zwischen denen sich nun dünne Häute spannten. »Das Blut des Drachen! Es hat sie zu einer Mer’ai gemacht.« Saag wan wandte sich dem Großkielmeister zu. »Hier ist der Beweis für unser gemeinsames Erbe. Die Magik der Drachen vermag die De’rendi noch immer in Mer’ai zu verwandeln. Wir sind ein Volk!«
Die Stimme des beleibten Schamanen zitterte vor Ehrfurcht. »Kein Wunder, dass die Götter uns verboten, Drachenblut zu berühren.«
Saag wan stand auf und deutete auf Scheschon, die jetzt mit den Hautfalten zwischen ihren Zehen spielte und kicherte.
»Könnt ihr es nun noch leugnen? Seht ihr, dass wir ein Volk sind?«
Der Großkielmeister blickte erst zum Drachen und dann auf das Mädchen. Seine Augen blitzten auf. »Es… es könnte eine List sein«, meinte er vorsichtig, aber seine Stimme klang nicht sehr überzeugt.
Saag wan zuckte zusammen. Was sollte sie noch tun, um es ihm zu beweisen?
Über ihnen wurden die Wolken auseinander geweht, indes der Sturm sich allmählich von der Flotte entfernte. Der Mond leuchtete nach der Düsternis des Unwetters fast so hell wie eine Sonne. Alle an Bord blickten hinauf und sonnten sich im Mondlicht.
Plötzlich stöhnte Hant auf.
Der Großkielmeister und Saag wan fuhren herum. Hant kniete neben Scheschon, und die zarten Finger des Mädchens berührten die Wange des jungen Mannes. Die Tätowierung des im Sturzflug befindlichen Meerfalken schien unter ihrer Berührung aufzuleuchten. Noch einmal stöhnte Hant auf.
Scheschon murmelte Hant vertraute Worte zu, Formeln der Bluteide aus uralten Tagen. »Ich brauche dich.«
Hant stand auf und zog das Kind in seine Arme. »Ich stehe zu deinen Diensten«, antwortete er.
Bilatus wich zurück. »Es ist der alte Bann. Die Schicksalsgemeinschaft unserer beiden Völker!«
Hant bewegte sich langsam auf die Reling zu.
Der Großkielmeister stellte sich ihm in den Weg. »Hant, was tust du?«
Die Stimme des jungen Mannes wurde von der Magik gedämpft. »Ich muss Scheschon zu ihrem Papa zurückbringen. Es wurde mir befohlen.«
Saag wan berührte den Arm des Großkielmeisters. »Versuch nicht, ihn aufzuhalten. Einmal verbündet, muss er seinen Auftrag erfüllen. Wenn Scheschon wieder bei dem Schamanen ist, wird der Bann gebrochen und dein Sohn wieder frei sein.« Saag wan erinnerte sich daran, wie es bei ihr und Kast gewesen war. »Aber in Zukunft sollte Hant seine Tätowierung bedeckt halten, wenn er in der Nähe des Kindes ist. Oder er wird viele Besorgungen und Botengänge für sie erledigen müssen.« Der Großkielmeister nickte, jedoch nur zögernd. »Macht ein Ruderboot für Hant fertig.«
Der Sturm hatte sich zwar gelegt, aber die Dünung war noch immer hoch. Die Wellen gebärdeten sich jedoch nicht mehr ganz so ungestüm wie zuvor. Saag wan warf einen Blick nach Steuerbord und entdeckte, dass die Drachenherz bereits mit der vom Feuer schwer gezeichneten Drachensporn gleichgezogen hatte. Im hellen Mondlicht konnte Saag wan selbst aus dieser Entfernung die
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