Alasea 03 - Das Buch der Rache
verlieren?«
Pinorr gab es auf, Ulster durch die Kajüte zu folgen. So gern er es auch getan hätte, konnte er doch nicht leugnen, dass der alte Großkielmeister seinem Sohn oft arg zugesetzt hatte. Einen so tiefen Zorn allerdings hatte er niemals vermutet. »Aber dein Bruder…?«
»Kast?« Ulster schnaubte. »Der Bastard hat sich aus dem Staub gemacht, noch bevor das Schlimmste begann, und überließ mich allein der Wut unseres Vaters.« Nun schien das Feuer in Ulster zu ersterben, wie eine ausgebrannte Kerze verlosch es. »Das werde ich ihm niemals verzeihen.«
Pinorr hatte ebenfalls Mühe, seinen eigenen Zorn aufrecht zu erhalten. »Aber ganz gleich, ob deine Geschichte nun stimmt oder nicht, gibt dir dies das Recht, deine Wut über die Brutalität deines Vaters an meiner Familie auszulassen?«
Ulster wandte den Blick nicht eine Sekunde von Pinorr ab. »Ja, weil du die Macht gehabt hättest, meinen Vater aufzuhalten. Er hätte auf dich gehört, Pinorr.« Ulsters Stimme war für einen Augenblick brüchig geworden, doch dann festigte sie sich wieder. »Aber du hast lieber auf den Ruhm draußen am Horizont geblickt als auf das Böse, das unmittelbar neben dir stand. Also verlange kein Mitgefühl von mir.« Ulster drehte sich um und griff nach seinem Schwertgürtel.
Benommen von dem, was er gerade erfahren hatte, konnte Pinorr nur tatenlos zusehen, wie der Kielmeister seine Waffe zog.
»Ich werde es nicht länger dulden, dass du das Böse in meinem Vater leugnest.« Ulster sah Pinorr wieder an. »Das Ergebnis seines Tuns steht vor dir.« Und mit diesen Worten machte Ulster einen Sprung nach vorn.
Pinorr hatte gerade noch Zeit, sein eigenes Schwert zu heben. Stahl traf klirrend auf Stahl. Zum Glück wurde Ulsters Angriff mehr von Ärger als von Geschick geleitet. Dennoch fiel Pinorr unter der Wucht des Angriffs nach hinten. Der Kielmeister war deutlich jünger und stärker. Pinorr hatte es nur seinen Instinkten aus alten Kriegertagen zu verdanken, dass Ulsters Schwert ihn nicht am Bauch traf.
Der Schamane kämpfte verzweifelt. Das wilde Feuer, das sein Blut entzündet hatte, war zu lauer Glut geschrumpft. Welches Recht hatte er, etwas zu schmähen, was zu formen seine eigene Hand mitgeholfen hatte? Pinorr wich zurück. Mit dem linken Fuß rutschte er auf dem Zopf des Ersten Maats aus, und er stürzte aufs Deck, wobei ihm das Schwert entglitt und klirrend zu Boden fiel.
Ulster stand nun mit erhobenem Schwert über ihm. Seine Augen glühten rot vor Wut, und er atmete keuchend.
Pinorr richtete sich auf den Knien auf, um dem Tod ins Auge zu blicken.
Der Kielmeister starrte ihm ins Gesicht. »Du hättest meine Schreie hören sollen, Schamane.«
Pinorr nickte. »Du hast Recht, Ulster. Es tut mir Leid.«
Die Wut im Gesicht des jungen Mannes mischte sich plötzlich mit Verwirrung. Sein Schwertarm begann zu zittern, doch die Waffe hielt er weiter hoch.
Pinorr hielt Ulsters Starren stand und sprach mit sanfter Stimme. »Aber ich bin nicht dein Vater, Ulster.«
Der Kielmeister schüttelte den Kopf und trat zurück, die Augenbrauen zusammengezogen, der Blick unruhig. »Ich weiß, dass du nicht mein Vater bist…«
»Es ist noch nicht zu spät, um das Unheil wieder gutzumachen, das wir angerichtet haben.« Pinorr sah den Schmerz in Ulsters Haltung. »Ich kann dir helfen.«
Mit wilden Augen fuhr Ulster erneut zu Pinorr herum und richtete lachend das Schwert auf ihn. »Du glaubst, du könntest mir helfen? Wenn du alles wüsstest, würdest du mich genauso verfluchen, wie es mein Vater während seiner Wutanfälle getan hat.«
»Das würde ich nicht«, beharrte Pinorr, und er meinte es ernst. Er ließ nicht nach in seinen Versuchen, den jungen Mann zu erreichen. Er wollte damit nicht nur sein eigenes Leben retten, sondern auch das, was von Ulsters Leben noch übrig war. »Lässt du es mich versuchen?«
Ulster ließ das Schwert sinken, wenn auch nur wenige Zentimeter. Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. »Weißt du, wie dein Sohn gestorben ist? Scheschons Vater?«
Pinorr zuckte bei Ulsters Worten zusammen. Der Kielmeister hatte eine alte Wunde berührt, die niemals vollständig ausgeheilt war. »Er… er starb während der Kurtischen Kriege. Eine Axt spaltete seinen Kopf.« Pinorr verspürte nicht den geringsten Wunsch, diese Erinnerung aufleben zu lassen. Eine schwarze Taube hatte ihm damals die Nachricht überbracht; Scheschons Mutter lag gerade in den Wehen. Als die gebärende Frau die Botschaft erhielt,
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