Alasea 03 - Das Buch der Rache
der Burgtürme heruntergestürzt war. Der Og’er drehte sich nicht um, als Er’ril kam, aber er sprach. »Wenn du nach Elena suchst…« Er deutete auf den Westturm, und in seiner erhobenen Klaue befand sich der Herzstein, der Talisman seines Stammes. Er leuchtete wie eine Rose im Mondlicht.
Tol’chuk ließ den Arm sinken und legte den Stein in den Schoß. An den hängenden Schultern des Og’ers konnte Er’ril seine traurige Stimmung ablesen. Er kannte den Grund für Tol’chuks Kummer. All die Siege der vergangenen Tage sie hatten den Krieg gewonnen, das Buch zurückgeholt und die Insel erobert halfen dem Og’er nicht bei seinem eigentlichen Auftrag: das Herz seines Volkes aus den Klauen des Vernichters zu befreien. Die Geister seines Volkes in dem Stein schwanden weiter langsam dahin.
»Tol’chuk…?«
Der Og’er wandte Er’ril nur noch mehr von seinem breiten Rücken zu. »Mir geht es gut, aber sie braucht dich, Er’ril. Geh zu ihr.«
Er’ril blickte hinauf zur Brüstung des Turmes. Hoch über ihm zeichneten sich im Mondlicht die Umrisse einer schmalen Gestalt ab, welche sich über die Brüstung lehnte. »Sie sollte nicht allein dort oben stehen.«
Tol’chuk gab einen grunzenden Laut von sich, der fast ein wenig belustigt wirkte. »Du musst dich nicht dafür rechtfertigen, Er’ril.«
Der Präriemann zwinkerte. »Was… was meinst du damit?«
Tol’chuk schüttelte nur den Kopf. »Menschen!« Er winkte Er’ril fort. »Geh!«
Er’rils Beine waren schon in Bewegung. Er musste schließlich für Elenas Sicherheit sorgen. Er ging zurück in die Burg und schnurstracks zum Westturm.
Während er die Treppe hinaufstieg, dachte er daran, wie sie das letzte Mal zusammen auf einem Turm gestanden hatten. Er erinnerte sich an die lange Umarmung und verfluchte sich selbst dafür. Niemals hätte er sich derart von seinen Gefühlen leiten lassen dürfen. Er’ril berührte das Heft seines Silberschwertes in der neuen Filigranscheide. Mehr durfte er für sie nicht sein ihr Paladin, sonst nichts. Es war an der Zeit, die Empfindungen, die sich in seinem Herzen verwurzelt hatten, herauszureißen. Das war nur Unkraut, welches ihn schwächte und ihn bei der Verrichtung seiner Aufgabe, nämlich sie zu schützen, behinderte.
Er durfte nur ihr Schwert sein, mehr nicht.
Mit dieser neuen Erkenntnis im Herzen folgte er der Treppe hinauf zum Dach des Turmes. Die Falltür stand offen. Er’ril blieb kurz stehen. Eine kühle Brise wehte die Treppe herunter. Er’ril gönnte sich einige Sekunden lang die frische Luft. Hier oben auf dem Turm waren die Winde rein von Rauch und anderen Nachwirkungen des Krieges. Er’ril schloss die Augen und erlaubte dem Wind, über ihn hinwegzuwehen, ihn zu läutern.
Als er sich bereit fühlte, Elena gegenüberzutreten, erklomm Er’ril die letzten Stufen zum Dach. Elena hörte ihn nicht. Sie hatte den Blick in den Himmel gerichtet. Das Mondlicht tauchte sie in einen silbernen Schein, während das Sternenlicht über ihr Kleid tanzte.
Er’ril konnte plötzlich kaum noch atmen.
Traurigkeit und Einsamkeit leuchteten hell wie das Mondlicht aus der jungen Frau.
Sein Herz begann erneut zu schmerzen. In diesem Augenblick wusste er, dass er niemals damit zufrieden sein würde, nur ihr Schwert zu sein. Er wollte ihr Mond und Sterne sein, Sonne und Meer. Er wollte alles für sie sein.
Er’ril blickte sie verwundert an und wusste, dass er diese Wünsche für immer wegsperren musste. Elena trug die Last mehrerer Welten auf ihren schmalen Schultern. Er durfte sie nicht noch mehr belasten. Doch von jetzt an konnte er seine Empfindungen nicht mehr verleugnen. Er liebte sie. So einfach war das.
Er würde zwar niemals mit ihr über seine Gefühle sprechen, doch würde er danach streben, mehr als nur ihr Schwert zu sein, mehr als nur ihr Paladin. Er würde alles tun, um sie zu beschützen selbst vor der Verzweiflung, die er nun in ihr spürte.
Noch in ihre edlen Gewänder gekleidet, stand Elena auf dem Turm, der einst Prätors Speer genannt wurde. Man hatte ihn bereits nach der einzigen Bewohnerin der obersten Gemächer in Hexenschwert umbenannt. Über ihr glitten die Elv’en Schiffe lautlos vorüber und verdeckten die Sterne. Sie starrte in den Himmel. Der Mond nahm bereits wieder ab. Mitternacht war lange vorüber.
Doch noch immer tönte der fröhliche Lärm des Festes aus den Straßen und der Burg zu ihr herauf. Die ganze Stadt feierte ausgelassen und würde das auch noch bis zur
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