Alasea 03 - Das Buch der Rache
den Gul’gotha?«
Tante Fila blickte sich in dem Raum um und betrachtete die versammelten Streitkräfte. Elena fühlte, dass sie angesichts der vielen Zuhörer vieles ungesagt lassen würde.
»Was ist, Tante Fila? Was verschweigst du uns?«
»Es gibt noch vieles, was ich nicht verstehe. Cho ist erst seit kurzer Zeit bei mir. Sie ist so fremd, dass ich vieles nicht erfassen kann. Selbst wenn sie über Chi nachdenkt, verstehe ich vieles nicht.«
Nun trat Er’ril vor, seine Stimme klang verbittert. »Was ist mit Chi? Was hast du erfahren?«
Tante Fila kniff die Augen zusammen und kratzte sich nachdenklich am Ohr. »Es ist verwirrend. Cho und Chi sind auf irgendeine Weise verwandt. Sie gehören zu einer Familie, wie Bruder und Schwester oder Ehemann und Ehefrau… aber zugleich auch wieder nicht. Sie sind auch sehr gegensätzlich. Mann und Frau, schwarz und weiß, positiv und negativ. Es ist alles sehr merkwürdig.« Fila sah Er’ril an. »Ich weiß nur eines sicher: Cho ist in diese Welt zurückgekehrt, um Chi zu finden. Es dauerte fünfhundert Winter, bis sie hierher gelangte, nachdem sie Chis Verschwinden das erste Mal gespürt hatte.«
Er’ril runzelte die Stirn. »Dann ist sie den weiten Weg umsonst gegangen«, meinte er grimmig. »Chi gibt es nicht mehr.«
»Nein, Er’ril. Eines hat mir Cho klar zu verstehen gegeben: Chi hat uns niemals verlassen. Er ist immer noch hier irgendwo. Deshalb ist Cho zurückgekehrt, und deshalb hat sie Elena die Macht gegeben. Die Hexe wurde geschaffen, damit sie Chos Kriegerin auf dieser Welt wird, während das Buch des Blutes Chos Auge und Ohr ist.« Tante Filas Geist leuchtete plötzlich in einem noch helleren Licht auf. »Das ist Elenas wahre Bestimmung! Nicht der Kampf gegen den Herrn der Dunklen Mächte, sondern Chi zu finden.«
Elena schüttelte den Kopf. Sie war verwirrt. »Ich verstehe das nicht. Wie…?« Aber bevor Elena die Frau weiter befragen konnte, begann sich Tante Filas Gestalt in Nebel aufzulösen.
»Ich kann nicht mehr länger sprechen. Die Verbindung ist zu schwach in diesem Zyklus.« Tante Fila griff nach Elenas Arm. » Du hast deine Sache gut gemacht, Kind. Ruhe dich nun aus bis zum nächsten Mond. Wir werden dann das Weitere besprechen.«
Tante Filas Geist wurde zu Nebel und sickerte zurück in das Buch. Ein Glühen breitete sich über dem Blutbuch aus und verhüllte den Blick in die Leere. Sobald das Licht verblasst war, starrte Elena nur noch auf die vergilbten Seiten des alten Buches. Sie schlug es zu. Auch die Rose auf dem Umschlag war verblasst und strahlte kein inneres Feuer mehr aus. Es war nur noch einfaches Gold, das an den Rändern abblätterte.
Elena wandte sich an Er’ril. Das Gesicht des Präriemannes war blass geworden. »Wie sollen wir Chi finden?« flüsterte Elena.
Er schüttelte den Kopf. »Über dieses Rätsel werden wir später nachdenken, Elena.« Er deutete auf die Menge. »Jetzt erwartet uns ein Fest.« Die Spielmänner im Bankettsaal stimmten zaghaft das erste Lied an.
Elena runzelte die Stirn. Im Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als allein zu sein. So viel war geschehen, so viel musste sie erst einmal verdauen. Trotzdem nahm sie Er’rils Arm. Die Pflicht rief auch in dieser Nacht.
Mitternacht war vorüber, und Er’ril schritt durch den überfüllten Gang vor dem großen Saal, um nach Elena zu suchen. Sie hatte sich fortgeschlichen, während er kurz von einem Trinkspruch abgelenkt gewesen war. Aber Er’ril ahnte, wohin sie geflüchtet war. Nach der endlosen Folge der verschiedenen Gänge des Festmenüs war die Luft im Saal stickig geworden. Er’ril hatte bemerkt, wie erhitzt und melancholisch Elena war, als der Nachtisch serviert worden war. Vielleicht hatte sie frische Luft gebraucht.
Endlich erreichte er die erneuerte Tür zum Großen Hof und schob sie auf. Es war ein warmer Abend, aber nach der Hitze der dichten Menschenmenge verschaffte die frische Luft ihm eine willkommene Kühlung. Er’ril suchte den Hof ab. Der gröbste Schutt war zwar bereits entfernt, aber es würde noch lange dauern, bis der Hof auch nur annähernd seine frühere Schönheit wiedererlangte. In einer Ecke, die von mehreren Fackeln beleuchtet wurde, spielten vier fahrende Sänger ihre Weisen. Da der Geruch von Rauch und Krieg hier draußen noch immer sehr stark war, hatten die Musiker nur einen Zuhörer.
Er’ril gesellte sich zu ihm. Der massige Körper des einsamen Zuhörers hätte ein Felsbrocken sein können, der von einem
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