Alasea 03 - Das Buch der Rache
können auch einen bereits an den Folgen einer Vergiftung Gestorbenen ins Leben zurückholen.«
»Wie ist das möglich?«
Mama Freda zuckte mit den Schultern. »Dazu ist mehr als nur ein Biss vonnöten. Die Schlange muss in den vergifteten Körper des Verstorbenen kriechen.«
Mikela kniff die Augen zusammen, aber sie zuckte nicht zurück. Sie hatte noch nie zu denen gehört, die vor der harten Realität zurückschreckten. Sie rief sich die Bewegung ins Gedächtnis, die sie in ihrem Bauch gefühlt hatte, die Übelkeit und die Magik, welche durch ihr Fleisch pulsiert war. Die Schlange war in ihr gewesen. Mikela erinnerte sich sogar an das Gefühl, als sie sich den Rachen hinaufgeschlängelt hatte und ihr über die Lippen geglitten war.
»Wenn sie in dir ist, befreit sie mithilfe ihrer Magik dein Fleisch und Blut von den Giften und tränkt deinen Körper mit ihrem Geist. Sie wird ein Teil von dir.« Dieser letzte Satz schien Mama Freda Sorgen zu bereiten. Sie wandte den Blick von Mikela.
Merik humpelte auf sie zu. »Sag ihr alles.«
Mama Freda drehte sich mit zusammengepressten Lippen zu Mikela. »Die Schlange und du, ihr seid nun eins. Ihr zwei teilt ein Leben.«
»Und was bedeutet das?« fragte Mikela, die plötzlich Angst bekam vor der Antwort.
»Du bist nun für immer mit dieser Paka’golo verbunden. Während der ersten Nacht eines jeden Vollmondes muss die Schlange dich beißen. Wenn die beiden Leben erst einmal miteinander verbunden sind, braucht der Mensch die Magik aus den Zähnen der Schlange, um weiterleben zu können, und die Schlange braucht das Blut des Menschen zum Überleben. Ohne diese Magik wirst du sterben.«
Mikela blickte die Schlange mit großen Augen an. Sicherlich war die alte Frau verrückt. Sie schickte ihre elementaren Sinne aus und suchte in sich nach der Magik der Schlange. Sie fühlte nichts. Erleichtert stieß sie noch weiter vor, nur um Gewissheit zu erlangen spürte aber wieder nur Leere. Sie betrachtete die Schlange, um deren Magik zu studieren. Doch dann runzelte sie die Stirn. Nichts.
Sie hob den Blick, sah Merik an und schickte ihre Sinne in seinen Körper, wo sie nach Blitz und Sturm suchte. Ihre Augen wurden groß vor Entsetzen. Wieder fühlte sie nichts. Sie erstarrte, wie unter Schock. »Ich… ich bin blind«, flüsterte sie.
Merik kam näher, die Augen sorgenvoll zusammengekniffen. Nun wusste Mikela auch das dumpfe Gefühl in ihrem Kopf zu deuten. Es war keine Benommenheit, die noch von der Heilung herrührte, sondern die Gefühllosigkeit ihres Geistes. Angsterfüllte Augen wandten sich an Mama Freda und Merik. »Ich kann nicht mehr suchen«, murmelte sie. »Meine elementaren Fähigkeiten sind weg.«
Mama Freda sprach leise zu ihr: »Alles hat seinen Preis.«
Merik trat an den Tisch, hob eine Hand und wollte Mikela trösten, doch plötzlich erstarrte er. Er beugte sich hinunter und betrachtete verwundert Mikelas Gesicht. »Deine Augen!« rief er aus. »Sie sind anders.«
Mikela befühlte ihr Gesicht und rechnete bereits mit einer weiteren schrecklichen Veränderung. Die Schlange an ihrem Handgelenk zischte leise bei der fahrigen Bewegung.
»Sie sind nun golden und haben schlitzförmige Pupillen«, sagte Merik und warf dabei einen Blick zum Wolf, der neben ihm saß, »wie Ferndals Augen.«
Mikela presste die Fäuste gegen die Wangen. Das konnte nicht sein. Sie wagte es nicht zu hoffen.
»So eine Veränderung habe ich noch nie beobachtet«, entfuhr es Mama Freda. »Sie…«
Mikela hörte nicht mehr zu. Ungläubig und vorsichtig horchte sie in sich hinein und berührte dabei einen Teil ihres Geistes, den sie verdorrt und tot geglaubt hatte. Wo lange Zeit nichts zu spüren war, fühlte sie nun einen vertrauten Widerstand. Sie drückte sanft dagegen und fühlte, wie sich Knochen und Sehnen, die schon zu lange in einer Gestalt gefangen waren, bogen und dehnten. Wie ein zugefrorener Teich im Frühling schmolz nun das erstarrte Fleisch. Sie stand auf weichen Beinen neben dem Tisch, die Decke fiel ihr von den Schultern, da ihre Knochen nachgaben.
Die Paka’golo zischte und wickelte sich fester um Mikelas Arm, als die Gefährtin schwankte.
Mikela hob die Schlange vors Gesicht. Welch ein Wunder war dies nun wieder? Die Paka’golo hatte ihr nicht nur das neue Leben geschenkt, sondern auch noch ihr altes, tot geglaubtes Erbe wieder belebt. Mikela zwang Muskeln und Knochen, wieder fest zu werden, und nahm erneut die Gestalt an, mit der sie am vertrautesten war. »Ich…
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