Alasea 03 - Das Buch der Rache
ab. Jemand öffnete ein Fenster, und die kühle Brise, die hereinwehte, verursachte eine Gänsehaut auf ihren Armen und Beinen. Plötzlich wurde Mikela sich ihrer Nacktheit bewusst.
Verlegenheit und Scham bewegten sie schließlich dazu, die Augen zu öffnen. Sie blinzelte gegen die Helligkeit an, aber es war nur das weiche Licht der aufgehenden Sonne, das den Raum erleuchtete. Gedämpfte Stimmen flüsterten ganz in ihrer Nähe: »… ebt, aber den Biss der Paka’golo wird sie brauchen, um am Leben zu bleiben.«
Mikela stützte sich auf die Ellbogen. Ein Stöhnen entwich ihren Lippen. Ihre Muskeln schmerzten, als hätte sie die ganze Nacht hindurch mit beiden Schwertern gekämpft.
Bei einem Blick durchs Zimmer erkannte Mikela, dass sie sich im Lagerraum der Apotheke der Heilerin befand. Ein Holzregal reihte sich an das nächste, alle waren sie gefüllt mit Flaschen, Gläsern und Beuteln, der Raum war voll davon, bis auf den hinteren Teil, wo Mikela auf dem Eichentisch lag. Mehrere kleine Drahtkäfige standen an der Wand neben ihr. Seltsame Wesen spähten aus den kleinen Zellen heraus, ihre Augen glitzerten im Licht der aufgehenden Sonne. Die Vielfalt war erstaunlich: flügellose gefiederte Kreaturen, Echsen mit Stacheln entlang der Wirbelsäule, kleine, pelzige Nager, die sich aufblasen konnten und bei jeder Bewegung zischten. Von ihren langen Wanderungen durch das Land wusste Mikela, dass diese Tiere nicht aus Alasea kamen, sondern aus einem fremden Land stammen mussten.
Mikela setzte sich auf, als Mama Freda, die gerade noch bei den Käfigen gestanden hatte, zu ihr herüberkam. Merik, eingewickelt in dicke Verbände und auf eine Krücke gestützt, humpelte hinter ihr her. Ferndal tappte neben dem Elv’en durchs Zimmer. Dem Wolf, der bei den Pferden im Stall ausgeharrt hatte, war es gelungen, den Fängen der Bösewächter zu entkommen.
Mama Freda legte eine Decke um Mikela und half ihr, sich auf die Tischkante zu setzen. »Die Kraft wird rasch in deinen Körper zurückkehren.«
»W wie?« fragte Mikela, mit ihrer Zunge kämpfend. »Das Gift…«
»Ein Tollkirschenextrakt«, antwortete Mama Freda. »Ein weit verbreitetes Gift… aber ich habe da meine Methoden.«
Mikela wusste, dass die Frau mit ihrem Wissen hinterm Berg halten wollte. »Sag es mir.«
Mama Freda warf einen Blick zu Merik, der zustimmend nickte. »Sie wird es später ohnehin erfahren müssen«, sagte der Elv’e.
Die Heilerin drehte sich zu einem Käfig, der hinter dem Tisch stand. Noch immer träge und benommen, beugte sich Mikela zur Seite, um der alten Frau nachzusehen.
»In Yrendl«, erklärte Mama Freda, während sie sich am Gitter eines winzigen Käfigs zu schaffen machte, »wimmelt es nur so Giften im Dschungel, aber wie bei allen Dingen, gibt es auch ein Gleichgewicht. Die Götter des Dschungels schufen eine besondere Kreatur, um unsere Stämme vor diesen Giften zu schützen.« Mama Freda fuhr herum. Um Finger und Handgelenk hatte sich eine violette Schlange mit blauen und grünen Streifen gewickelt. »Wir nennen sie Paka’golo. In der Sprache meines Volkes bedeutet das ›Atem des Lebens‹. Die Schlangen sind durchdrungen von elementarer Magik. Während die meisten Schlangen mit ihren Zähnen Gifte versprühen, zieht der Biss einer Paka’golo das Gift aus dem Körper heraus.«
Mama Freda hielt Mikela die Schlange zur näheren Betrachtung hin. Mikela streckte die Hand aus, neugierig auf eine solch seltsame Kreatur. Eine kleine rote Zunge schnellte zwischen den schuppigen Kiefern hervor, um einen ihrer Finger zu untersuchen. Dann streckte die Schlange ihren Körper, um von den Fingern der alten Heilerin auf Mikelas Handfläche zu gleiten. Die Schwertkämpferin hatte etwas Kaltes und Schleimiges erwartet, doch nun fühlte sie eine seltsam warme, glatte und schuppige Haut auf der ihren. Das Tier schlängelte sich mit langsamen Bewegungen zu ihrem Unterarm und wickelte sich wie ein kostbares Schmuckstück ums Handgelenk. Ferndal kam näher, um die Schlange zu beschnuppern.
Mikela blickte auf. Sie verstand nicht recht. »Ich habe das Gift selbst zubereitet«, meinte sie. »Ich kenne seine Wirkung. Meist tötet es schon, noch bevor das Gift den Magen erreicht hat das ist zu schnell für jede Heilung.«
Mama Freda seufzte und nickte. »Ja, da hast du Recht. Aber die Paka’golo wurde von meinem Volk sehr treffend benannt. Diese Tiere tragen wirklich den ›Atem des Lebens‹ in sich. Sie heilen nicht nur den leicht Vergifteten, sie
Weitere Kostenlose Bücher