Alasea 03 - Das Buch der Rache
ich kann meine Gestalt wieder wandeln«, erklärte sie den staunenden anderen. Tränen der Freude liefen ihr übers Gesicht und ihre Stimme versagte. »Ich bin nicht nur wieder am Leben, ich bin auch wieder eine Si’lura!«
Ferndals Augen funkelten sie tief bernsteinfarben an, und zum ersten Mal seit zahllosen Wintern flossen in der Geistsprache ihres Volkes Bilder in Mikelas Seele: Ein toter Wolf, behütet von einem trauernden Rudel, kehrt zurück ins Leben. Das Rudel heult seine Freude heraus.
Joach stand an der Steuerbordreling der Meereswind, als die Sonne im Osten über dem Ozean aufging. Er betrachtete die westlichsten Inseln des Archipels, während das Schiff in Richtung Norden an der Küste entlangsegelte. Die Morgendämmerung verwandelte die bedrohlich schwarzen Erhebungen der Inseln in hoch aufragende grüne Berge. Nebel umwaberte die Gipfel und bildete mit dem morgendlichen Sonnenlicht einen sanften rosa Schleier. Selbst vom Schiff aus konnte Joach den süßen Geruch des saftigen Grüns der Inseln riechen, den die kühle Morgenbrise zu ihm herüberwehte.
»Die Inseln bergen viel Schönheit«, meinte eine tiefe Stimme hinter ihm.
Joach brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es Moris war, der große dunkelhäutige Bruder. »Und viele Gefahren«, fügte Joach bitter hinzu.
»So ist der Lauf des Lebens«, murmelte der Bruder. Moris trat an die Reling neben Joach. »Ich komme gerade vom Krankenbett deiner Schwester. Ihr Zustand ist unverändert. Sie lebt, ist aber eine Gefangene der Gifte.«
Joach schwieg, die Angst um seine Schwester schnürte ihm den Hals zu. »Warum haben die Kobolde sie angegriffen? Hat der Herr der Dunklen Mächte sie geschickt?«
Moris runzelte sorgenvoll die Stirn. »Wir sind uns nicht sicher. Kobolde sind dafür bekannt, dass sie ihresgleichen rächen. Deine Schwester tötete viele Felskobolde in den Ruinen der alten Schule in der Nähe eurer Heimat. Diese Nachricht muss sich ausgebreitet haben zu den anderen Kobolden, sogar bis zu den Küstensippen der Drak’il.«
»Und seitdem sind sie hinter ihr her?«
»So scheint es, aber ich vermute, auch das Schwarze Herz hatte eine Hand im Spiel. Der Angriff war zu gut vorbereitet und ausgeführt, als dass es allein Koboldwerk sein könnte. Irgendjemand lenkt diese kleinen Scheusale.« Joach umklammerte den Poi’holz Stab in seiner linken Hand fester. »Wie lange wird es noch dauern, bis wir Port Raul erreichen?«
Moris sah erst auf die vorbeiziehende Küste, dann warf er einen prüfenden Blick auf die geblähten Segel. »Wenn der Wind anhält, werden wir den Hafen kurz vor Sonnenuntergang erreichen.«
Joach drehte sich zur Seite, um den großen Bruder anzusehen. »Wird Elena bis dahin aushalten?«
Moris legte ihm die Hand auf die Schulter. Zunächst scheute Joach vor der tröstenden Berührung zurück, doch dann bröckelte sein tapferer Widerstand, und er lehnte sich Hilfe suchend an die Schulter des großen Mannes und war wieder Kind. »Elenas Magik ist stark«, tröstete Moris den Jungen, »und ihr Wille ist noch stärker.«
»Ich kann sie nicht sterben lassen«, jammerte Joach in das Hemd des Bruders. »Ich habe Vater versprochen, auf sie aufzupassen. Und schon bei der ersten echten Gefahr wird sie an meiner Seite fast getötet.«
»Gib dir nicht selbst die Schuld. Du hast deine Magik heraufbeschworen und uns damit vor den Drak’il gerettet und die Flucht ermöglicht. Zumindest hat sie nun eine Chance.«
Joach klammerte sich an diesen dünnen Strohhalm. Vielleicht hatte Moris Recht; seine eigene schwarze Magik hatte zumindest dazu beigetragen, die Schwester zu schützen. Das musste etwas zu bedeuten haben. Er löste sich von Moris’ Schulter und richtete sich auf. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Nase und schniefte noch einmal.
»Dennoch«, fuhr Moris fort, »nimm dich vor der Verlockung des Stabes in Acht! Er ist ein übles Werkzeug und seine Magik verführerisch.«
Joach betrachtete den Poi’holz Stab. Er fühlte sich glatt und geschmeidig an. Verlockend? Das war nicht das Wort, das er selbst verwenden würde, um den Stab zu beschreiben. Nur die Notwendigkeit, seine Schwester zu beschützen, hatte ihn dazu bewegt, die schwarzen Künste des Stabes heraufzubeschwören. Er fuhr mit den Fingern über die glatte Oberfläche. Aber war er wirklich ehrlich zu sich selbst? Ein Teil von ihm wusste, dass es mehr Wut als Bruderliebe gewesen war, was ihn zu der Attacke gegen den blutgierigen Meerkobold
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