Alasea 03 - Das Buch der Rache
sie immer noch tot aus.« Plötzlich erkannte Mikela die Stimme wieder, den überheblichen Unterton. Es war Merik. »Wie lange dauert das denn noch?«
»Die Sonne geht gerade unter. Es ist fast vorbei. Sie wird sich entweder erholen, oder wir werden sie für immer verlieren.«
Die Stimmen traten in den Hintergrund, als mit einem Mal tosender Lärm in Mikelas Ohren hämmerte. Wenn sie ihre Hände gefunden hätte, hätte sie sich damit die Ohren zugehalten. Was geschah hier nur mit ihr? Sie hatte tausend Fragen, aber der Lärm, aas gleißende Licht und der brennende Juckreiz machten es ihr schwer, klar zu denken. All ihre Sinne wurden überflutet von Reizen, doch dann spürte sie etwas, das sich jenseits von Schmerz und Verwirrung befand.
Sie griff danach wie eine ertrinkende Frau nach einem schwimmenden Baumstamm, nach etwas, woran sie sich festhalten konnte. Es funkelte und flimmerte wie ein Juwel im Sonnenlicht und bewegte sich langsam durch das Herz ihres Seins. Was war das? Sie fühlte die Magik, die dieses Etwas umgab, die es ausstrahlte, so wie ein Ofen Wärme ausstrahlt. Die Kraft schien sie zu durchdringen und das Brennen zu lindern.
Ein undeutliches Gefühl des Erkennens machte sich in Mikela breit. Sie kämpfte gegen den Nebel an, der ihr Bewusstsein verschleierte, und richtete ihre Sucherfähigkeiten auf diese neue Magik. Was war es, das sie als so seltsam vertraut empfand? Sie beschnüffelte es mit ihren Sinnen. Die elementare Signatur war ungewöhnlich: Erde, Boden und ein Hauch von schwarzer Kohle. Plötzlich fiel ihr ein, warum sie es kannte. Es war die elementare Magik, die sie in Mama Fredas Vorratskammer inmitten der trocknenden Kräuter und Regale voller Medizin gespürt hatte. Etwas, das jenseits der Länder Alaseas lag.
Die Magik schwoll immer mehr an und wurde ein Teil von Mikela. Die Quelle dieser elementaren Macht näherte sich, als kröche sie aus einem Abgrund, sie glitt und wand sich dorthin, wo sich Mikelas Geist befand. Die Magik wurde immer stärker, je näher dieses Etwas kam. Blaue und grüne Schatten wirbelten darum herum und drängten das gleißende Licht zurück. Dann fing es Mikela ein, verbrannte ihre Magik, ertränkte sie. Mikela fühlte, wie etwas Entscheidendes aus ihr herausgerissen wurde.
Sie musste würgen; sie konnte nicht mehr atmen. Es durchdrang und umhüllte sie. Sie warf sich wild hin und her, da ihr Körpergefühl wie ein Feuersturm zurückkehrte.
»Halt sie fest! Drück sie hinunter!«
»Ich kann nicht…«
»Verflucht! Setz dich auf sie, wenn es sein muss, du dürrer Vogel!«
Mikela rang nach Luft. Sie kämpfte um jeden Atemzug und würgte heftig.
»Tikal… Tikal… Tikal…«
»Nimm deinen Schwanz aus dem Weg!« Das Kreischen eines aufgebrachten Tieres gellte durch den Raum. »Jetzt ist der Moment gekommen, Merik! Gleich kriecht ihr die Paka’golo den Hals herauf. Über Leben oder Tod wird in dieser Sekunde entschieden.«
»Süße Mutter!«
»Hilf mir, ihr den Mund aufzuhalten. Gib mir die Mundsperre. Nein, nicht die da drüben!« Ein geflüsterter Fluch folgte. Dann fühlte Mikela Lippen an ihrem Ohr. »Kämpf nicht dagegen an. Lass es raus!«
Mikela wusste nicht, was die alte Frau meinte. Da bäumte sich ihr Rücken plötzlich mit einem entsetzlichen Krampf auf. Tränen schössen ihr in die Augen.
»Halt sie fest!«
Dann schrie Mikela auf. Es war ein markerschütterndes Brüllen, als würde sie sich die Seele aus dem Leib schreien. Und auf gewisse Weise tat sie das auch. Mikela fühlte, wie sich etwas aus ihrem Hals wand und schlängelte und zwischen ihren Lippen hervorglitt. Sie würgte und keuchte, als es über ihre Zunge und aus ihrem Körper rutschte.
Sobald der Rachen wieder frei war, fiel ihr von Krämpfen geschüttelter Körper in sich zusammen, der Atem rasselte aus ihrer Kehle. Die Dunkelheit löste sich auf und gab den Blick frei auf wässrige Bilder: verschwommene Gesichter, schleppende Bewegungen, flackerndes Licht. Sie hob eine Hand zum Gesicht. Schweißüberströmt lag sie da. Mit jedem Atemzug sahen ihre Augen schärfer.
»Lehn dich zurück, Kind. Ruh dich aus. Lass die Augen zu.«
Mikela leistete keinen Widerstand, sie war zu schwach, um dagegen anzukämpfen. Sie gehorchte einfach nur. Unter ihrem Rücken fühlte sie einen Tisch. Kein weiches Bett, sondern bloßes Holz. Sie bewegte sich immer noch nicht und ließ das Zittern und Beben in ihrem Körper ausklingen. Der Atem kam nun weniger stoßweise, und die nasse Haut kühlte
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