Alasea 03 - Das Buch der Rache
verlassen.«
Sie schnaubte bei seinen Worten und wandte sich ab. »Dann kommt«, sagte sie nur und bog um die nächste Ecke.
Die drei folgten ihr. Als Tol’chuk um das verwahrloste Gebäude, in dem eine Schusterwerkstatt untergebracht war, herumgegangen war, stolperte er vor Schreck. Die hoch aufragende Sumpfmauer lag nur einen Steinwurf von ihnen entfernt, und das Tor stand offen.
»Wir sind da!« rief Kral verwundert.
Die alte Frau drängte sie mit wedelnden Händen vorwärts, während sie weiterhumpelte. »Wenn ihr flüchten wollt, hört auf zu gaffen und geht weiter.«
Sie folgten ihr, doch obwohl Tol’chuk, Kral und Mogwied rasch voranschritten, um die Entfernung zum Tor so schnell wie möglich zurückzulegen, vergrößerte sich ihr Abstand zu dem alten Weib immer mehr.
Sie erreichte als Erste das Tor und nickte zum Torwächter hinauf, der oben auf der Mauerbrüstung stand. Der Bursche mit sandfarbenen Haaren, der die Zugketten am Tor bediente, schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. Er hatte die Augen auf die Innenstadt gerichtet. »Habt ihr etwas gehört?« fragte er, als Kral bei ihm ankam; die lebhaften jungen Augen gierten förmlich nach einer Sensation. »Was ist in der Garnison los?«
Da sie in Schwarz und Gold gekleidet waren, fiel es Tol’chuk plötzlich ein, musste der Torwächter sie für Kameraden halten. »Das hat dich nichts anzugehen. Mach du deine Arbeit.«
Da dröhnte mit einem Mal ein tiefes Hornsignal über die Stadt hinweg. Der schaurige Klang hallte in der nahen Bucht wider. Drei lang gezogene Töne streckten sich über die Schindeldächer der Stadt. »Das ist das Signal, die Stadttore zu schließen«, rief der junge Mann verwundert. Er wandte die aufgeregten Augen dem Trio zu. »Glaubt ihr, es ist wieder eines der verfluchten Boote, die kommen, um den Hafen zu verwüsten?«
Kral schleuderte einen Fluch zu dem jungen Mann hinauf. »Kümmere du dich um deine Arbeit. Wir müssen die Lage draußen vor den Toren überprüfen. Schließ die Tore hinter uns, und lass niemanden und ich meine wirklich niemanden mehr hinaus.«
»Ja, Herr!« Der Bursche salutierte zackig und ging zur Winde.
Tol’chuk hielt den Umhang so, dass dieser seine Gestalt vollständig verhüllte, als er unter der Brüstung vorbei und durch die Öffnung in der Mauer ging. Die anderen folgten ihm auf den Fersen. Hinter dem Tor wartete die alte Frau bereits auf sie, gestützt auf ihren Stock. Tol’chuk verzog das Gesicht und trat zu ihr. »Solltest du nicht zurück in die Stadt gehen, bevor sie dich aussperren?«
Hinter sich hörte Tol’chuk bereits die Riemen und Rollen knarren, mit deren Hilfe das Stadttor heruntergelassen wurde.
Die alte Frau zuckte nur mit den Schultern und humpelte weiter. Sie hielt auf den Küstenwald zu, der nicht weit entfernt lag. Tol’chuk konnte nicht anders, als ihr zu folgen, so wie er es schon den ganzen Morgen getan hatte.
Kral ebenso. »Bei der Süßen Mutter, wohin will dieses alte Weib eigentlich?«
Während sie hinter ihr herjagten, beschleunigte die alte Frau ihren Schritt noch. Am Waldrand angekommen, warf sie schließlich auch noch den Stock fort. Ihr Rücken schien sich mit jedem Schritt zu strecken, sie wurde größer und bekam breitere Schultern, als erhielte ihre von den Jahren gebeugte Gestalt nun die verlorene Jugend zurück.
»Das gefällt mir gar nicht«, murmelte Mogwied. Die nackte Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Als sie den Schutz der Bäume erreicht hatte, drehte sich die alte Frau um und stand nun groß und aufrecht vor ihnen. Sie warf den gelbbraunen Schal zurück und schüttelte das lange Haar aus, das in den einfallenden Sonnenstrahlen golden leuchtete. Weitere Gestalten traten aus dem Schatten des Waldes hinter ihr. Ein großer Hund nein, ein Wolf kam hinter dem Stamm einer dicken Zypresse hervor und setzte sich zu ihren Füßen auf die Hinterläufe.
Tol’chuk trat näher.
»Das kann nicht sein«, sagte Mogwied benommen.
Kral bestätigte seine Worte. »Unmöglich.«
Tol’chuk tat zitternd noch einen weiteren Schritt. Bestimmt handelte es sich um einen grausamen Streich, ein Trugbild, das ihn quälen sollte.
Unter den grünen Ästen der Zypresse stand nicht mehr die gebückte alte Frau, sondern Mikela, die ihren Sohn anlächelte. Sie breitete die Arme aus. Ihre Augen schimmerten bernsteinfarben im Schatten.
Worte formten sich in Tol’chuks Kopf. Komm, mein Sohn. Sieh deine wahre Herkunft.
»Mutter?« rief er laut und stolperte ihr
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