Alasea 03 - Das Buch der Rache
umschlungen noch eine Weile da. Schließlich hörte Elenas Zittern auf, und sie hob die Hand. »Und was ist damit?« fragte sie und meinte damit die wuchernden Fingernägel. »Warum ist das geschehen?«
Sie hob den Kopf und starrte Er’ril ins Gesicht. Ihre Augen waren ganz verquollen und die Wangen blass und nass von den Tränen. Zum ersten Mal sah Er’ril die Frau, die sich bisher hinter den weichen Gesichtszügen des jungen Mädchens versteckt gehalten hatte.
Umrahmt von feuerroten Locken, waren Elenas grüne Augen nun mit glänzendem Gold gesprenkelt. Die hohen Wangenknochen luden dazu ein, mit dem Finger den Bogen nachzufahren, der über das wohlgeformte Kinn zum schlanken Hals führte. Die Lippen waren leicht geöffnet, als sie zu ihm aufschaute.
»Er’ril?«
Er musste einige Male zwinkern und schob sie leicht von sich, dann räusperte er sich. Er kannte den Preis für das Schmieden einer Blutwaffe und hatte gewusst, dass das Mädchen sich verändern würde. Dennoch war er einen Augenblick lang erschüttert über diesen Anblick. Er hatte nicht erwartet, dass eine Frau den Kopf zu ihm heben würde.
Elena fühlte sein plötzliches Unbehagen und blickte an sich hinunter. Sie zog und zerrte an Joachs Hemd und versuchte, ihren Körper damit zu bedecken. »Was ist mit mir geschehen?«
Er’ril schluckte, er musste erst seine Zunge lösen. »Um ein Blutschwert oder irgendeine andere Waffe aus Magik zu schmieden, muss der Magiker einen Teil von sich opfern. Er muss einen Abschnitt seines eigenen Lebens dafür geben.«
Sie runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
Er bemühte sich, klarere Worte zu finden, doch er sah sich nicht imstande, seine Gedanken richtig zu ordnen. Er war nicht fähig, seine Sinne davon abzuhalten, bei Elena zu verweilen. »Man hat dir einige Lebensjahre gestohlen und sie dem Stab gegeben. Du bist gealtert, Elena. Ich schätze, in dem Moment, in dem du Joachs Blutstab geschaffen hast, bist du mindestens vier oder fünf Winter älter geworden.«
Sie nestelte mit der Hand in ihrem Gesicht herum, als wollte sie die Wahrheit in seinen Worten erfühlen, aber die langen Fingernägel machten es ihr schwer. »Meine Haare… meine Nägel.«
»Fast ist es, als hättest du vier Winter geschlafen und wärst jetzt erst wieder erwacht.«
Ihr Gesicht wurde noch bleicher, und erneut rollten Tränen über ihre Wangen.
Noch bevor einer von beiden erneut etwas sagen konnte, machte sich Joach bemerkbar. Der Junge rief etwas übers Deck und bedeutete ihnen mit dem Stab aufzustehen. Hinter ihm kletterte der grauhaarige Flint aus der Heckluke. Er war von oben bis unten durchnässt. Während Joach übers Deck lief, rief er ihnen zu: »Wir haben ein Leck! Die unteren Frachträume sind schon überflutet. Wir müssen das Schiff verlassen!« Als er sie schließlich völlig außer Atem erreichte, die Beinkleider durchnässt vom Meerwasser, verkündete er abschließend: »Wir müssen unsere Sachen zusammensuchen und ins Rettungsboot steigen.«
Wie um seine Worte zu bestätigen, kippte das Schiff plötzlich zur Seite, und ein schauderhaftes Geräusch dröhnte übers Deck. Er’ril half Elena auf und übergab sie an Joach. Sie stand sehr wackelig auf den Beinen, und Er’ril war sich nicht sicher, ob der Grund dafür in der Erschöpfung lag oder in der Größe, mit der sie nun plötzlich konfrontiert war. Sie würde sich erst noch an die längeren Gliedmaßen und den neuen Körper gewöhnen müssen.
Joach musterte seine Schwester, dann nahm er ihren Arm. Jetzt musste er zu ihr aufblicken, vorher war es umgekehrt gewesen. Der Junge von vierzehn Wintern stand nun neben einer Frau von achtzehn oder neunzehn Jahren.
»Bring sie ins Rettungsboot!« befahl Er’ril. »Dann hilf mir, unser Gepäck zu holen.«
Nickend führte Joach seine Schwester fort.
Er’ril ging zu Flint, der mit einem Handfernrohr am Auge neben dem Ruder stand.
»Wie viel Zeit haben wir noch, bevor sie sinkt?« fragte Er’ril.
»Kommt darauf an«, antwortete Flint, der sich nicht davon abhalten ließ, die umliegende See mit dem Fernrohr abzusuchen. »Wenn das Schiff von dem Riff kippt, auf das es aufgelaufen ist, werden wir sofort sinken. Falls es sich jedoch richtig darauf festfahren hat, könnte es sich vielleicht noch bis Sonnenuntergang über Wasser halten. Aber das ist im Moment unsere geringste Sorge.« Er nahm das Fernrohr herunter.
»Was meinst du damit?«
»Ein anderes Schiff hat unsere schiefen Masten bereits gesichtet. Es
Weitere Kostenlose Bücher