Alasea 03 - Das Buch der Rache
warmen Zunge einer Wölfin zu neuem Leben erweckt. All das waren Bilder neuen Lebens, das widrigen Umständen entsprang.
Mogwied verstand, was sein Bruder ihm zu vermitteln versuchte. Ferndals Gedanken sprachen von Hoffnung. Wenn Mikela ihre Fähigkeiten zurückgewinnen konnte, dann konnten sie das auch. Mogwied klammerte sich an diese unsichere Aussicht. Er griff zu Ferndal hinunter und hoffte darauf, diesen Schimmer neuer Hoffnung mit ihm teilen zu können. Aber Ferndal war bereits gegangen, er hatte sich umgewandt und war zurückgekehrt an Krals Seite.
Mogwied zog die Hand zurück und versuchte, sich an seinem erneuerten Glauben festzuhalten, aber dieser entglitt seinem Griff wie Nebel. Mogwied wusste auch, warum. Mikela hatte erst sterben müssen, um ihre Fähigkeiten zurückzuerlangen. War er bereit, selbst auch so weit zu gehen? Tief in seinem Herzen kannte Mogwied die Antwort darauf. Enttäuschung und Verzweiflung schwollen in ihm an.
Und es gab noch mehr Gründe, sich Sorgen zu machen.
Ferndal war immer ein gewandter Redner gewesen, sowohl mit der Zunge als auch mit dem Geist. Aber seine letzten Bilder waren zu einfach gewesen, die Darstellungen grob und unscharf an den Rändern. Vielleicht lag es an Ferndals Aufregung, aber Mogwied starke Zweifel an dieser simplen Erklärung. Er hatte etwas Unbezähmbares in den bernsteinfarbenen Augen seines Bruders sehen, so etwas wie das Heulen eines wilden Wolfes. Ferndal ging die Fähigkeit, sich in der Geistsprache auszudrücken, langsam verloren. Die Wildnis ergriff allmählich Besitz von ihm. Die Zeit wurde knapp. In weniger als drei Monden würde der Fluch sie beide aufgezehrt haben und sie in ihren gegenwärtigen Gestalten für immer gefangen halten. Die Augen beider Brüder würden ihr bernsteinfarbenes Glühen verlieren, und jede Aussicht, das Si’lura Erbe wiederzuerlangen, würde für immer schwinden. Ferndal würde ein weiterer Wolf im Wald sein und Mogwied ein Mensch unter vielen. Sie würden ihr Erbe für immer vergessen.
Mogwieds Beine zitterten. Nein, niemals! Und wenn er dafür seine Gefährten an den Herrn der Dunklen Mächte verraten musste, einschließlich seinen eigenen Bruder, er würde es niemals vergessen. Er warf einen Blick zu Mikela, die Tol’chuk warmherzig anlächelte. Mogwied kniff entschlossen die Augen zusammen. Eines Tages werde ich meine Freiheit zurückerlangen. Das schwöre ich!
Mit mürrischem Gesichtsausdruck dachte er über die Ungerechtigkeit des Schicksals nach und bemerkte deshalb zu spät, dass sich im Gebüsch neben dem Pfad etwas regte.
Eine Gestalt trat lautlos aus dem Dickicht. Mogwied verschlug es den Atem, und er stolperte nicht nur wegen des Schrecks, den ihm das plötzliche Auftauchen des Mannes einjagte, sondern auch, weil dieser Mann ein fürchterlich entstelltes Gesicht besaß, sein Antlitz war zerfressen von rosafarbenem Narbengewebe, das ein Ohr und die Hälfte seines mit schwarzen Borsten bewachsenen Schädels bedeckte.
Die Gefährten zogen ihre Waffen. Tol’chuk sprang auf den Störenfried zu und bewegte sich überraschend schnell für seine bullige Gestalt. Die Augen des Fremden weiteten sich verwundert bei dem Angriff des Og’ers. Er wich zurück in den Busch. Hinter dem Mann entdeckte Mogwied dunkle Gestalten und weiter hinten im Wald sogar glitzernden Stahl.
»Halt!« rief Mikela plötzlich schroff. Ihr Befehl zerriss die Stille im Wald mit der Gewalt einer geworfenen Axt.
Tol’chuk gehorchte seiner Mutter und kam auf seinen stämmigen, mit Krallen bewehrten Füßen schlingernd zum Stehen. Der Og’er stützte sich mit einer riesigen Faust auf dem Lehmboden des Waldes ab, er keuchte und fletschte die langen Fangzähne.
Mikela drängte sich durch die Gefährten vor zu ihrem Sohn.
Sie musste die Ellbogen benutzen und schob Krals Axt mit der Handfläche beiseite, bis sie zwischen Tol’chuk und dem Fremden stand. »Er ist ein Freund«, schalt sie die anderen. »Ich habe ihm in der Stadt eine Nachricht zukommen lassen, dass er hier zu uns stoßen soll.«
Krals Stimme klang eher wie ein hündisches Knurren als eine menschliche Stimme. »Wer ist er?«
Mikela machte ein strenges Gesicht und ließ Krals Frage einstweilen unbeantwortet. Sie trat vor und umarmte den Mann warmherzig. »Wie geht es Cassa Dar?« fragte sie, als sie ihn losließ.
Er lächelte die Schwertkämpferin an. Es war ein grausiger Anblick, wie sich die vernarbte Haut so verzerrte. »Sie weilt in Burg Drakken. Der Angriff im
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