Alasea 03 - Das Buch der Rache
Kiste, doch Flint spürte es, als sich der Deckel hob. Die Kajüte füllte sich plötzlich mit einem Gestank wie von Gedärmen, die sich in der Sommersonne aufblähten. Aber der Geruch war noch nicht das Ärgste. Es war, als hätte plötzlich jemand all die feinen Härchen auf Flints Körper aufgestellt. Selbst die Luft schien mit Blitzen geladen zu sein.
Was auch immer in der Kiste liegen mochte, Flint verspürte kein Verlangen danach, es zu Gesicht zu bekommen. Doch man ließ ihm keine Wahl. Jarplin drehte sich um, und in der Hand hielt er eine gelatineartige, schleimige Masse. Zuerst dachte Flint, es wäre der übel riechende Schmutz aus den Bilgerohren, aber als Jarplin näher kam, erkannte Flint, dass die Masse lebte. Dünne Tentakel schlängelten sich aus dem Körper. Jedes Ende verfügte über einen winzigen Mund, der blindlings Luft einsog.
Flint konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Der Schmerz, die Anspannung, der Gestank und nun noch dieses entsetzliche Untier Es wurde ihm zu viel. Sein Magen drehte sich um, und er übergab sich auf seinen Schoß. Tief in seinem Herzen wusste er genau, was Jarplin da in der Hand hielt. Er hatte die Geschichte von dem verdorbenen Schiff nicht vergessen, das den Hafen von Port Raul angegriffen hatte, von den Tentakelkreaturen, die man zusammengerollt in den gespaltenen Schädeln der Berserker gefunden hatte. Oh Süße Mutter, nicht auch noch hier!
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Krämpfe in seinem Bauch nachließen. Danach hing sein Kopf nur noch schlaff herunter, und Flint musste nach Luft ringen.
Jarplin lachte. »Aber Flint, davor brauchst du doch keine Angst zu haben. Dieser kleine Liebling hier wird dir einen völlig neuen Blick auf dein Leben verschaffen.«
Flint hob den Kopf und stellte erstaunt fest, dass er nun viel klarer denken konnte. Es schien, als hätte sein Körper erst all die Gifte ausspucken müssen, die sich in ihm gebildet hatten, seitdem er dieses Schiff betreten hatte. »Jarplin«, sagte er und gab jedwede Verstellung auf. »Ich weiß nicht, was mit dir geschehen ist, aber hör mir zu. Es ist falsch, und irgendwo tief in dir drin weißt du das selbst auch.«
»Irgendwo in mir?« Jarplin kniete nieder und schob das Silberhaar zurück, das seinen Nacken bedeckte. Er drehte den Kopf zur Seite und wandte Flint den hinteren Schädel zu. »Warum siehst du nicht selbst nach, was in mir steckt?«
Ein kleines, sauberes Loch war oben in seinen Hals gebohrt. Es sah aus wie eine alte, verheilte Wunde. Doch aus dem Loch glitt ein blasser Tentakel, dessen kleiner Mund anschwoll und sich kräuselte. Offenbar sog er frische Luft ein für die Kreatur, die sich tief in Jarplins Schädel verbarg.
»Was haben sie nur mit dir gemacht?« murmelte Flint resignierend.
Jarplin ließ das Haar wieder vor das Loch fallen. »Ich zeige es.« Er wandte sich Meister Vael zu. »Hol den Knochenbohrer.«
Flint blickte Meister Vael ins Gesicht. Der Fremde hatte nun die Ausdruckslosigkeit in seinem Gesicht aufgegeben. Seine Lippen streckten sich zu einem hungrigen Grinsen und entblößten dabei lange Zähne, die alle spitz zugefeilt waren.
In diesem Lächeln lag nichts Menschliches mehr.
Elena rang nach Luft und sprang mit einem Satz von der Kiste zurück. Fast hätte sie die Laterne fallen lassen.
Er’ril eilte sofort an ihre Seite. »Was ist?« fragte er.
Joach kam rückwärts auf sie zu, den Stab gegen die unbekannte Bedrohung erhoben.
»Ich… ich weiß nicht«, murmelte Elena. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen.« Sie hatte eigentlich erwartet, dass etwas Monströses mit feurigen Augen aus der Kiste brechen und sie verfolgen würde. Doch das war nicht geschehen, und nun war sie sich nicht mehr sicher, was sie genau gesehen hatte. Ihre Hand wanderte zum Gesicht. »Ich habe zwei Augen gesehen.«
Er’ril drückte ihren Ellbogen. »Bleib hier.« Er nahm die Laterne aus ihren zitternden Fingern und ging zu der Kiste.
»Sei vorsichtig«, flüsterte sie.
Joach blieb an der Seite seiner Schwester.
Die zwei beobachteten Er’ril, wie er die Laterne an die zerstörte Seite der Kiste hob. Auch er schien leicht zurückzuschrecken vor dem, was er da vorfand. Aber statt zu fliehen, blieb er stehen und hielt das Licht tiefer ins Loch und spähte hinein.
»Und?« fragte Joach.
»Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, es ist eine Skulptur«, sagte er. »Die Augen scheinen zwei Rubine zu sein.«
Nun näherte sich auch Joach noch einmal der Kiste, gefolgt von
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