Alasea 03 - Das Buch der Rache
Das Krachen des Brettes hatte sich in der engen Kabine wie ein Donnerschlag angehört.
Alle drei erstarrten. Niemand bewegte sich, bis schließlich von oben ein neues obszönes Lied herunterdröhnte. Die Seeleute hatten also nichts gehört. Elena näherte sich den anderen beiden und vergaß beinahe das Atmen.
Neben der Kiste angekommen, hob Elena die Laterne an das Loch. Sie war gar nicht so neugierig auf den Inhalt, sondern suchte nur etwas, um sich von der Gefahr abzulenken. Wie ihr Bruder hatte auch sie die Geschichten noch im Kopf, die von Goldmünzen und Juwelenschätzen handelten, welche auf See erbeutet und von den Piraten gehortet wurden.
Doch in dieser Kiste lag kein Schatz verborgen. Aus ihrem schwarzen Innern starrten zwei blutrote Augen zu Elena heraus.
Ein Schwall kaltes Meerwasser ließ Flint wieder zu vollem Bewusstsein kommen. Er keuchte und würgte und warf den Kopf zurück, wobei dieser gegen die hohe Lehne des Stuhles donnerte, an den er gefesselt war. Das Salz brannte in der Wunde unter seinem Auge und in den Abschürfungen auf der Wange, die ihm die Piraten zugefügt hatten.
Kapitän Jarplin beugte sich über Flints blutiges Gesicht. Er war ein breitschultriger Mann mit silbergrauen Haaren und grünen Augen. Die vielen Winter auf See hatten ihn hart wie Stein werden lassen. Flint hatte einst die feste Entschlossenheit dieses Mannes bewundert, der ein harter, aber gerechter Kapitän gewesen war. Doch irgendetwas an ihm schien verändert. Obschon äußerlich derselbe, wenn auch ein wenig blasser, wirkte der Kapitän auf Flint irgendwie unheimlich; der Bruder glaubte einen Hauch von Fäulnis zu riechen.
Flint hatte es gleich bemerkt, als man ihn in die Kapitänskajüte gezerrt hatte. Von der früheren Ordnung in Jarplins Kajüte war nichts mehr zu spüren. Karten und Pläne lagen wild verstreut auf dem Boden. Ungewaschene Kleidung lag dort, wo Jarplin sie fallen gelassen hatte. Offenbar verließ er seine Kajüte nur noch selten, wohingegen man ihn früher vom Deck seines Schiffes kaum fern halten konnte.
Flint leckte das Blut von seiner gespaltenen Unterlippe. Hatte der Diebstahl des Seedrachen seinen früheren Kapitän so aufgebracht? Nein, das konnte nicht sein. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er hätte die anderen niemals überzeugen dürfen, an Bord dieses Schiffes zu gehen.
Jarplin hob Flints Kinn mit dem Finger hoch. »Haben Meister Vaels Fäuste deine Zunge schon gelöst?« fragte er spöttisch, so ganz anders als der Mann, den Flint einst gekannt hatte.
Flint spuckte Blut. »Ich werd dir gar nix über den Drachen erzählen, solange wir nicht in Raul sind«, antwortete er und benutzte den alten Dialekt, den er einst gesprochen hatte, als er Erster Maat auf diesem Schiff gewesen war.
Jarplins grüne Augen durchschauten seine Maske. »Spiel hier nicht den armen Fischer, Flint. Es steckt mehr in dir, als ich einst vermutete, aber mir sind die Augen geöffnet worden.« Er lachte barsch. »Oh ja, sie sind jetzt weit offen.«
Flint starrte wie gebannt auf den Speichel, der dem Mann von der Lippe hing. Was war mit dem Mann, den er einst gekannt hatte, geschehen; mit dem Mann, den er einst für seinen Freund gehalten hatte?
Jarplin stieß sich vom Stuhl ab und wandte sich an seinen neuen Ersten Maat. Flint erinnerte sich nicht, dass Meister Vael schon früher zur Mannschaft der Skipperjan gehört hätte. Offenbar stammte Meister Vael aus einem fernen Land. Der Kopf des Mannes war kahl geschoren, die Haut trocken wie vergilbtes Pergament, und seine Augen wiesen eine seltsame Färbung auf ein dunkles Rot, das aussah wie ein böser blauer Fleck. Sogar das Weiße in seinen Augen schien leicht verfärbt, als wäre die Farbe aus der Iris herausgeblutet.
Jarplin nickte zu einer prunkvollen Kiste. »Vielleicht gibt es ja noch einen anderen Weg, um Flints Zunge zu lösen.«
Die einzige Äußerung Meister Vaels hierzu war ein kurzes, kaum merkliches Kopfnicken. Es wirkte fast, als gewährte der Erste Maat seinem Kapitän die Erlaubnis. Flint zog die Augenbrauen zusammen. Wer hatte hier auf dem Schiff nun eigentlich das Sagen?
Der Kapitän holte einen silbernen Schlüssel aus dem Hemd, der an einer Kette um seinen Hals hing, und ging hinüber zu der mit feinem Goldfiligran geschmückten Kiste. »Das ist mein Letzter«, erklärte er, als er die Kiste aufsperrte. »Du solltest dich geehrt fühlen, dass ich ihn dir zuteil werden lasse.«
Jarplins breiter Rücken versperrte Flint die Sicht auf die
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