Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
zu. Er stellte keine Bedrohung für sie dar. »Es wird Zeit, dass auch du dich in dein Schicksal fügst.«
Er’ril nahm sein Schwert an sich, hielt es einen Moment unschlüssig in der Hand und stieß es endlich in die Scheide zurück. »Elena wird sich darauf niemals einlassen.« Tratal fuhr herum und lehnte sich ohne Rücksicht auf die Energien, die über das Holz rasten, gegen die Reling. »Sie wird es sich schon anders überlegen, wenn von ihrem Entgegenkommen das Leben ihrer Freunde abhängt. Sie ist ein kluges Mädchen. Keine wilde Magik der Welt kann sie von hier befreien, aber sie kann euch alle das Leben kosten.«
Er’ril wollte widersprechen, doch ihm fehlten die Argumente. Elena würde um ihre Freiheit kämpfen aber sie würde nicht das Leben ihrer Gefährten aufs Spiel setzen. Tratal hatte völlig Recht. Sie waren im Netz ihrer eiskalten Intrige gefangen.
Er’ril verfluchte sein blindes Vertrauen und sah mit starrem Blick auf die riesige Stadt. Das Flaggschiff fuhr in den Hafen ein. Die riesige Elv’en Stadt lag friedlich im goldenen Sonnenlicht. Schon standen die Bewohner zu hunderten auf den Brücken oder winkten aus den Fenstern. Alle wollten ihrer heimgekehrten Königin zujubeln. Trompeten schmetterten, fröhlicher Trommelwirbel setzte ein. Er’ril sah Fahnen mit einem azurblauen Adler auf silbernem Grund.
Hinter ihnen schwangen die mächtigen Tore langsam zu, schlossen den Sturm aus und schnitten ihnen den Fluchtweg ab.
»Eine schöne Stadt, nicht wahr?« fragte Königin Tratal im Plauderton.
Er’ril musterte die prächtige Zitadelle mit bösem Blick. »Das schönste Gefängnis, das ich je gesehen habe.«
Elena folgte den anderen über eine breite Brücke, die ganz Sturmhaven überspannte. Königin Tratal schwebte in einer Prunksänfte voran, die mit energiegeladenen Eisenkufen knisternd über die Brücke glitt. Die grazile Frau winkte ihrem Volk gnädig zu. Aus Fenstern und Türen wurden Blütenblätter geworfen, die durch die Luft schwebten und sie mit süßen Düften erfüllten. Überall wurde sie mit lautem Jubel, guten Wünschen und Gesang begrüßt. Tratal nahm die Huldigungen nickend und winkend entgegen.
Elena betrachtete das Spektakel mit finsterer Miene. Beim Verlassen der Sonnenjäger hatte Tratal sie eingeladen, mit ihr in die gepolsterte Sänfte zu steigen, aber Elena hatte abgelehnt. »Ich gehe mit den anderen Gefangenen zu Fuß«, hatte sie kalt erklärt. Tratal hatte nur die Achseln gezuckt und sich allein hineingesetzt.
Als Elena erfahren hatte, dass sie eine Gefangene war, hatte sie spontan mit der vollen Kraft ihres Kalt wie ihres Hexenfeuers zuschlagen wollen. Wer erdreistete sich da, sich ihr in den Weg zu stellen? Aber Er’ril hatte so lange auf sie eingeredet, bis sich ihr Jähzorn legte. Ihre Kräfte waren zerstörerischer Natur, und sie konnten alles in Schutt und Asche legen, doch hier hätte ihre Magik nur einen tödlichen Sturz in die Tiefe bewirkt. Mama Freda hatte sich auf Er’rils Seite geschlagen und beteuert, mit Geduld und weisen Worten lasse sich oft mehr erreichen als mit Schwert und Feuermagik. Schließlich hatte Elena die Zähne zusammengebissen und ihren flammenden Zorn unterdrückt. Sie hatte keine andere Wahl, also fügte sie sich vorläufig in ihr Los. Als nun der Zug der königlichen Festung zustrebte, gelobte sie sich jedoch im Stillen, aus diesem vergoldeten Käfig zu fliehen. Alaseas Schicksal hing davon ab.
Er’ril ging neben ihr und behielt die Fenster und Hauseingänge, an denen sie vorüberkamen, im Blick. Wennar und Mama Freda folgten ihnen, flankiert von einer sechsköpfigen, mit Schwertern bewaffneten Elv’en Garde. Tol’chuk und sechs Zwerge waren als Geiseln an Bord der Sonnenjäger zurückgeblieben. Sie sollten das Wohlverhalten der anderen garantieren.
So marschierten sie mit verstockten Gesichtern durch die riesige Stadt, der vieltürmigen Zitadelle entgegen. Zu beiden Seiten säumten liebevoll gestaltete Wohn und Geschäftshäuser den Weg. Türrahmen und Pfeiler waren aufs Üppigste mit Schnitzereien verziert. Die Fenster hatten Scheiben aus buntem Glas. Die Kunstfertigkeit der Elv’en Handwerker zeigte sich auf Schritt und Tritt. Die ganze Stadt war ein einziges Kunstwerk. Elena war unwillkürlich beeindruckt, auch wenn sie sich mit der Entführung nach wie vor nicht abgefunden hatte.
Bunt gekleidete Kinder tanzten barfuß auf den Seilen und den schmalen Brückenbögen, die sich über den Himmel spannten, und ließen
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