Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
schaute zwischen ihren Stiefeln hinab in die wirbelnde Finsternis. Blitze erhellten das Innere des Sturms. Wie floh man aus einem Himmelsgefängnis? Wieder einmal wünschte sie sich wie schon so oft , ihre Tante Fila und Cho um Rat fragen zu können. Aber das Buch des Blutes war zusammen mit dem Try’sil, dem Hammer des Donners, beschlagnahmt worden. Und es hätte ihr ohnehin nicht geholfen. Vollmond war erst wieder in mehreren Tagen. Wenn sie es jetzt öffnete, fände sie nur leere Seiten.
Wennar blieb zurück, und Mama Freda nahm seinen Platz an Elenas Seite ein. »Ich habe gehört, was der Zwerg sagte«, flüsterte die alte Heilerin. »Uns bleibt nicht viel Zeit, um diese eiskalten Himmelsbewohner umzustimmen.«
»Wenn sie sich nicht besinnen«, sagte Elena wütend, »brenne ich ihnen die Stadt vom Himmel.«
Mama Freda wandte ihr das Gesicht zu. Da sie keine Augen hatte, war es bisweilen schwierig, ihre Miene zu deuten, doch jetzt schrie der Schock aus jeder einzelnen Runzel. »Du würdest den Jungen töten, der dir vorhin einen Kuss gegeben hat?«
Elena senkte beschämt den Kopf.
Er’ril hingegen antwortete: »Den Respekt der Elv’en erwirbt man sich nur, indem man Stärke zeigt. Und unschuldige Opfer gibt es in jedem Krieg.«
»Mag sein.« Wieder wandte sich Mama Freda an Elena. »Aber kannst du diese Unschuldigen mit eigener Hand töten, nicht versehentlich, sondern aus kaltblütiger Berechnung?«
Elena ballte frustriert die Fäuste. »Nein«, seufzte sie endlich. »Nein, das kann ich nicht.«
»Gut. Ich hatte schon befürchtet, ich hätte mich in diesem Krieg womöglich auf die falsche Seite gestellt.«
»Ich habe mich nur von meinem Zorn hinreißen lassen.«
Mama Freda nickte und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Dann höre mir einen Augenblick zu, mein Kind. Wir können dieses Spiel auch ohne Feuer und Mord gewinnen.«
»Wie meinst du das?«
»Durch Tikal bekomme ich vieles zu sehen und zu hören, was eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist.«
Er’ril trat dicht an die beiden heran. »Was hast du erfahren?«
»Als die Sonnenjäger entladen wurde, konnte ich ein paar Matrosen belauschen. Sie hatten gerüchtweise gehört, dass Elena heute Nacht, wenn der Mond aufgeht, zur Heirat mit einem Elv’en Prinzen gezwungen werden soll. Der Name des Bräutigams wird bei einem Festmahl bekannt gegeben, das bei Sonnenuntergang stattfindet.«
Elena war entsetzt. Heiraten? »Niemals! Ich werde mich weigern.«
Mama Freda nickte. »Ich nehme an, dass unser Leben und unser künftiges Wohlergehen davon abhängt, ob du dich fügst. Bei den Elv’en ist ein Heiratsversprechen auch dann gültig, wenn es unter Zwang abgelegt wird.«
Elena stolperte vor Schreck.
»Und noch in dieser Nacht sollst du im Brautbett deine Jungfernschaft verlieren notfalls will man sie dir mit Gewalt nehmen.«
Elena überlief es eiskalt. Obwohl sie bereits zur Frau erblüht war und ihre Mondblutungen bewiesen, dass sie alt genug war für die Ehe, erschreckte sie die Vorstellung, einem Mann beizuliegen, mehr als jeder Bösewächter. Ihr Körper war durch Magik gereift und kannte die Bedürfnisse einer Frau. Und was Männer und Frauen miteinander taten, hatte ihre Mutter ihr schon erklärt, als sie noch sehr viel jünger war. Sie hatte sich auch einmal im Küssen versucht. Aber mit einem Mann zu schlafen? Mit jemandem, den sie nicht kannte? Der ihr völlig fremd war?
»Ich werde das nicht zulassen«, drohte Er’ril mit eisiger Stimme.
Mama Freda nickte wieder. »Das dachte ich mir. Aber die Elv’en sind entschlossen, die Erblinie ihres alten Königs fortzuführen und mit der Linie des jetzigen Königshauses wieder zu vereinen.«
Elena hatte die Sprache wieder gefunden, aber ihre Stimme zitterte noch. »D du hast angedeutet, du wüsstest einen Weg aus dieser Falle?«
»Wie gesagt, die Matrosen waren sehr gesprächig, und die Rückkehr nach Sturmhaven hatte sie in Erregung versetzt. Dein Aussehen, deine weiblichen Reize sind den Männern in den Wanten wohl nicht entgangen. Einer der Matrosen war besonders von dir angetan und überlegte mit derbem Lachen, ob er deinen Bräutigam nicht nach dem Brauch des Ry’th Lor zum Zweikampf fordern sollte.«
»Was ist das?« fragte Er’ril.
»Danach habe ich meinen Kabinenjungen gefragt, als er mich vom Schiff führte. Ry’th Lor bedeutet in der alten Sprache der Elv’en so viel wie ›Herzblut‹. Wenn ein Mann um die Hand einer Frau anhält, kann ihm ein anderer
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