Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Tische und Stühle beiseite gerückt. Alle Gäste stellten sich in einem großen Kreis um die leere Fläche vor den beiden Thronen auf. Selbst die Diener kamen näher und drängten sich in die Ecken oder stellten sich gar auf Stühle, um den Kampf nicht zu versäumen.
Elena drehte sich zu Er’ril um und sah, dass ihm die Garde soeben sein Schwert abnahm.
Königin Tratal hob die Stimme und rief in den Saal hinein: »Der Herausforderer tritt seinem Gegner ohne Waffe und lediglich in den Kleidern gegenüber, die er auf dem Leib trägt.«
Elena wurden die Knie weich. Er’ril durfte nicht einmal einen Lederharnisch anlegen, um sich zu schützen. Nur Seide und Leinen waren ihm erlaubt. Doch Er’ril schien von der drohenden Gefahr wenig beeindruckt. Er ging ruhig um die königliche Tafel herum und sprang vom Podest auf die freie Fläche.
Die Elv’en Königin hob den linken Arm. »Dem Herausgeforderten werden die herkömmlichen Waffen zugestanden, um die Hand seiner Braut zu verteidigen. Man reiche ihm Schwert und Dolch!«
Prinz Typhon hatte sein Schwert bereits umgeschnallt. Nun stieg er auf der anderen Seite vom Podest und entledigte sich seiner Jacke. Dann zog er das Schwert aus der Scheide und vollführte damit übungshalber und um seine Muskeln zu lockern einige Hiebe durch die Luft. Die schmale Klinge zuckte auf und ab wie ein silberner Blitz. Höfliches Klatschen belohnte diese Demonstration seiner Kampfkunst.
Er’ril sah ungerührt zu.
Königin Tratal drehte leicht den Kopf und flüsterte so leise, dass nur Elena es hören konnte: »Mein Blut ist nicht so eisig, dass ich dir eine letzte Chance verweigern würde. Lehne die Herausforderung ab, und Er’ril wird nichts geschehen.«
Elena hätte das Angebot der Königin nur zu gern angenommen. Waffenlos und ungeschützt gegen scharfen Stahl wo blieb da noch Hoffnung? Er’ril schien zu spüren, wie sie der Mut verließ, denn in diesem Moment drehte er sich um und blickte zu ihr empor. Stolz und Entschlossenheit strahlten aus seinen Augen. Auf dem Weg durch Alaseas Landschaften und während des gesamten Inselkrieges hatte er sie beschützt und verteidigt. Erst mit dem Ende des Krieges war er etwas in den Hintergrund gedrängt worden, und sie hatte gespürt, wie wenig ihm diese Nebenrolle behagte. Aber das war nun vorbei. Hier stand wieder der alte Er’ril, der Mann, der sie auf ihrem langen Weg bis hierher begleitet hatte. So sehr sie um sein Leben bangte, sie musste ihn dieses Duell ausfechten lassen.
»Ich werde die Herausforderung nicht ablehnen«, flüsterte Elena der Königin zu. »Aber ich werde hinterher mit dir um deinen Neffen trauern.«
Nur der Energiestoß, der knisternd über das Eisenzepter fuhr, verriet den Zorn der Königin. »Dann lassen wir den Dingen ihren Lauf.«
Königin Tratal hob beide Arme. »So möge denn der Mut des Herzens entscheiden, wer von den beiden Bewerbern Elenas Hand erringt! Macht euch bereit!«
Prinz Typhon schwang abermals sein Schwert, und diesmal vollführte er dabei so rasend schnelle Drehungen, dass es aussah als stünde er in einer Wolke aus tödlichem Stahl. Wieder wurde die Darbietung mit Applaus belohnt.
Er’ril beobachtete seinen Gegner mit zusammengekniffenen Augen und bildete sich ein Urteil. Dann zog er die graue Seidenjacke aus, entledigte sich langsam des gestärkten Hemds und stand mit nacktem Oberkörper da. Mit einigen Übungen lockerte er seine Nacken und Armmuskulatur, ehe er sich demonstrativ unbekümmert die Jacke um den linken Unterarm wickelte und aus dem Hemd eine lange Peitsche drehte. Anschließend stand er einfach reglos da und sah Prinz Typhon entgegen.
Der Prinz verneigte sich vor seinem Publikum und wandte sich seiner Königin zu.
Die Zeit dehnte sich. Alles wartete gespannt. Endlich ließ Königin Tratal ihr Zepter sinken. »Der Kampf mag beginnen!«
Er’ril ließ seinen Kontrahenten kommen. Im Saal jubelte die Menge, Wetten wurden abgeschlossen, Münzen wanderten von Hand zu Hand. Er schottete sich gegen den Lärm ab und konzentrierte sich ausschließlich auf Prinz Typhon.
Der Elv’e kam zuversichtlich und mit festem Schritt über die blanken Kieferndielen auf Er’ril zu und hielt die Spitze seines Schwertes geradewegs auf dessen Herz gerichtet. »Ich gewähre dir einen sauberen Tod«, rief er, »ich hege keinen Groll gegen dich.«
Er’ril antwortete nicht. Nur seine Augen wurden noch ein wenig schmaler, während er aufmerksam jede Bewegung seines Gegners studierte. Er
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