Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
endgültig genug von der eisigen Höflichkeit der Elv’en. In der Wärme des Küchenfeuers war ihr Einfluss auf ihn schließlich dahingeschmolzen. Noch einmal schaute er durch die offene Tür zurück. In Wahrheit war es nicht allein die Wärme gewesen sondern auch ein scheues Mädchen namens Marta.
Nachdem er sich einen Mond lang in den kriecherischen Schmeicheleien der Elv’en gesuhlt hatte, hatte er in den Augen dieser Marta eine schlichte Wahrheit gelesen, die ihn beschämte. Liebe war keine Ware, mit der man Geschäfte machte. Sie sollte vielmehr durch einen Blick entstehen, der einen mitten ins Herz traf, um dann von allein zu erblühen.
Joach kehrte der Küche den Rücken, aber im Stillen gelobte er sich, bald wiederzukommen.
Nicht nur wegen des köstlichen Essens. Vielleicht konnten im Schein des Küchenfeuers auch noch andere Früchte gedeihen.
Es war kurz nach Sonnenuntergang. Merik saß, den Rücken an die Reling gelehnt, mit lang ausgestreckten Beinen am Bug der Bleicher Hengst. Er hielt die Laute im Schoß und schlug wahllos ein paar Saiten an. Das Schiff lag auf offener See vor Anker, und Meriks Blicke folgten den Tönen weit über Himmel und Meer.
Noch war der Mond nicht aufgegangen; der Sternenhimmel hing wie eine edelsteinbesetzte Decke über ihm. In der Ferne über der Insel A’loatal war das Lichtermeer von schnittigen Windschiffen verdeckt, die wie glitzernde Wolken über der Burg hingen. Donnerwolken, die Kriegsschiffe des Elv’en Volkes. Das Elementarfeuer, das sie durch die Lüfte trug, war so stark, dass man die magikgeladenen Eisenkiele bis hierher durch die Nacht leuchten sah.
Merik runzelte die Stirn. Irgendwo da oben war seine Mutter, Königin Tratal, und fragte sich wahrscheinlich, wieso ihr Sohn mehr Zeit auf der Hengst verbrachte als auf ihrem eigenen Flaggschiff, der Sonnenjäger. Obwohl sie inzwischen einen vollen Mond unter diesen Leuten verbracht hatte, war es für sie unbegreiflich, wie Wesen, die nicht seines Blutes waren, ihn so faszinieren, ja sogar seine Zuneigung wecken konnten. Sie hatte geduldig zugehört, als er ihr von seinen Abenteuern in diesem Land erzählte, aber die kalte Gleichgültigkeit war nie aus ihren Zügen gewichen. Die Elv’en, Geschöpfe des Windes und der Wolken, interessierten sich kaum für das, was unter dem Kiel ihrer Schiffe passierte. Meriks Mutter konnte auch nach seiner Geschichte nicht verstehen, was ihr Sohn für die dem Land verhafteten Völkerstämme empfand.
Merik fuhr sich mit der Hand über den Kopf. Wo die Folter in den Verliesen von Schattenbach nur verbrannte Stoppeln übrig gelassen hatte, war wieder dichtes neues Silberhaar nachgewachsen. Es war schon so lang, dass es ihn an den Ohren und im Nacken kitzelte, aber es konnte nicht alle seine Narben verbergen. Über seine glatte linke Wange zog sich ein langer Streifen runzelig blasser Haut.
»Spiel etwas«, verlangte eine Stimme. Neben einem Fass, das an die Steuerbordreling gebunden war, hockte, bis zur Nasenspitze in eine dicke Wolldecke gehüllt, der Schiffsjunge Tok. Nur sein wirrer rotblonder Schopf schaute aus den Falten hervor. Seit der Herbst das Archipel fest im Griff hatte, kühlten die Nächte sehr viel schneller ab. Aber Merik fand die Kälte erfrischend. Sie half ihm, einen klaren Kopf zu bekommen.
»Was willst du denn hören, Tok?« Der Schiffsjunge kam immer herbei, wenn Merik auf Ni’lahns Laute spielte. Dann schwelgten die beiden gemeinsam in den Melodien. Merik hatte die Gesellschaft des Jungen und seine Liebe zur Musik schätzen gelernt. An manchen Abenden griff Tok auch selbst in die Saiten und versuchte sich an einem Lied. Doch diesmal waren fast zwei Wochen vergangen, seit Merik zum letzten Mal gespielt hatte.
»Ist nicht so wichtig«, sagte Tok. »Spiel einfach irgendwas.«
Merik wusste, was der Junge meinte. Es kam nicht darauf an, welches Lied man den Saiten entlockte. Der Klang der Laute an sich war es, was ihnen beiden teuer war. Das Instrument war aus dem Herzen des sterbenden Koa’kona Baumes geschnitzt, mit dessen Geist sich die Nyphai Ni’lahn einst verbunden hatte. Noch immer sprach die Elementarmagik aus den klangvollen Schwingungen des kräftig gemaserten Holzes, wenn die Laute von Hoffnung sang und eine Heimat beschwor, die verloren war.
Wie ein Liebender beugte sich Merik über das Instrument, umschloss mit einer Hand das Griffbrett und griff mit der anderen in die Saiten. Die Laute entließ einen Schwall von Akkorden, der wie ein
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