Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
starb, bevor ihm Ragnar’k zu Hilfe kommen konnte, aber sein Tod war nicht vergebens. Er hat das Monster so lange aufgehalten, bis der Drache die Kinder retten konnte.«
Kesla hielt sich die Hand vor den Mund und wandte sich ab.
Hant fuhr fort: »Ein Mitglied der Besatzung des Gleitboots hat versprochen, das Mädchen zu seinem Onkel und seiner Tante zu bringen.«
Joach schloss die Augen und atmete tief durch. Er sah wieder das verhärmte Gesicht des Mannes vor sich, als er sich abwandte und in die Dunkelheit hineinging.
Innsu kam ihnen entgegen. »Die Banditen wurden entweder getötet oder in die Wüste gejagt. Wenn es uns gelingt, die Karawane wieder zu sammeln, könnten wir bei Tagesanbruch nach Tular weiterziehen.«
Joach steckte sein Schwert ein. »Nein.«
Alle sahen ihn an.
Er runzelte die Stirn. »Die Kinder haben genug gelitten.« Er wandte sich an Hant. »Ich möchte, dass du mit den Wüstenkriegern alle Kinder wegführst. Sofort. Bringt sie in Sicherheit.«
Innsu protestierte. »Aber wir brauchen die Karawane als Tarnung, wenn wir …«
»Nein. Ich werde mich nicht hinter diesen Kindern verstecken. Fess a’Kalar hatte Recht. Das steht uns nicht zu.«
»Aber wir haben sie gerettet.« Innsu gab nicht so leicht auf.
Joach lachte, doch er hörte selbst, wie betroffen es klang. »Wir haben hier niemanden gerettet.« Er trat zurück. »Hant, hol die Männer zusammen, damit ihr bei Sonnenaufgang aufbrechen könnt.«
»Wie du willst«, sagte Hant.
»Und was machen wir, wenn wir Tular erreichen?« fragte Innsu zornig.
Kesla antwortete ihm. »Wir werden irgendwie ins Innere gelangen, ohne dass man uns sieht. Schließlich sind wir Meuchler, oder etwa nicht?«
Damit hatte sie Innsu den Wind aus den Segeln genommen.
Sie schlenderte zu Joach hinüber.
Er drehte sich um, sah in ihre mitternachtsblauen Augen und war sicher, dass seine Entscheidung richtig war nicht, weil dieses Mädchen den Traum der Wüste vertrat, sondern weil er in ihrem Blick das schlichte Mitgefühl und die mütterliche Besorgnis einer ganz normalen Frau las.
Joach beugte sich über sie und küsste sie voll Innigkeit. Zunächst zuckte sie überrascht zurück, dann schmiegte sie sich in seine Arme, und sie klammerten sich aneinander. Es war ein einfaches Zugeständnis an die Rechte des Lebens und vielleicht auch an die Liebe.
19
Als es über der Wüste hell wurde, glitt Saag wan auf ihrem Drachen im tiefen Schatten am Südwall entlang. Die gewaltige Sandsteinwand war höher, als Ragnar’k fliegen konnte, aber ihre Oberfläche war keineswegs einheitlich. Einzelne Abschnitte waren eingebrochen und lagen in Trümmern am Fuß des Walls. Zahllose Sandstürme hatten die Oberfläche zurechtgeschliffen, und das rote Gestein war in weiten Teilen schwarz verbrannt ein Mahnmal an frühere Kriege. Diese Spuren einstiger Kämpfe wurden zahlreicher, als sie sich den Ruinen von Tular näherten.
Wir kommen zur Stadt, Leibgefährtin, meldete Ragnar’k.
Der Drache hatte die schärferen Augen, aber Saag wan brauchte nur die ihren zu schließen, um so sehen zu können wie er.
Es war, als hätte ein Riese mit einem Hammer auf den Südwall eingeschlagen. Vor dem Wall lagen ganze Felsblöcke und gewaltige Sandsteintrümmer wild durcheinander. Der Haufen reichte bis zur halben Höhe der Sandsteinwand. Als sie näher heranflogen, zeigte sich, dass die Blöcke einmal Teil einer großen Stadt gewesen waren. An die Schutthalde grenzten die Überreste einer halbkreisförmigen Festungsmauer. Ein Wachturm stand noch, aber die Zinnen hatte der Wind nahezu abgetragen, und der verkohlte Sockel war so schwarz wie der Aii’schan. Hinter der Mauer ragten die Ruinen großer Gebäude und Türme aus den Sanddünen, die der Wind in die zerstörte Stadt geweht hatte, als hätte die Wüste versucht, die geschleifte Festung auszuradieren.
»Bleib im Schatten, Ragnar’k«, flüsterte Saag wan. Der Wind riss ihr die Worte von den Lippen, aber sie wusste ja, dass der Drache auch ihre Gedanken hören konnte. »Wir wollen in diesem Nest keine Vögel aufscheuchen.«
Gespannt beobachtete Saag wan die Ruinen von Tular. Nichts bewegte sich, nichts wies darauf hin, dass die Stadt noch bewohnt war. Aber sie entdeckte auch die tiefen Wagenspuren, die durch die verfallenen Tore führten und sich durch die Trümmer schlängelten. Die alte Karawanenstraße durchquerte die ganze Stadt und verschwand im gähnenden Rachen eines Tunnels im Wall. Von hier oben konnte Saag wan am
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