Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
dass er nicht zu den verfallenen Türmen beiderseits der Stadttore schaute, sondern auf den Sand zu seinen Füßen.
Sie hörte ihn ein Gebet flüstern, keinen Zauberspruch, nur eine einfache Bitte um Schutz, wie man sie in der Wüste alle Kinder lehrte.
Der Bandit wollte sein Malluk einen Schritt vorwärts treiben, aber es blähte die Nüstern, witterte die Gefahr und scheute vor dem wogenden Sandstreifen zurück. Erst als ihm der Reiter die Peitsche gab, brachte er es wenigstens ein Stückchen weit voran. Wieder hob er den leuchtenden Talisman.
Wo das fahle Leuchten auf den tödlichen Sand fiel, ergriffen die Haie die Flucht und verschwanden mit hektischen Schlägen ihrer ledrigen Schwänze in der Tiefe. Ein Durchgang tat sich auf.
Ermutigt und sichtlich erleichtert peitschte der Reiter abermals auf das Malluk ein und trieb es langsam vorwärts. Vor ihm verscheuchte der Schein des Talismans die räuberischen Bestien und bahnte ihm den Weg zu den Toren. Das Malluk spürte die Feinde zu beiden Seiten und beschleunigte seinen schlurfenden Schritt. Sobald das grüne Licht vorübergezogen war, tauchten die Haie wieder auf und schlossen hinter ihm ihre Reihen.
Kesla sah aufmerksam zu. Der Anhänger musste von schwarzer Magik durchdrungen sein und einen Schutzzauber ausstrahlen.
Der Bandit näherte sich auf seiner kleinen Insel der Sicherheit der Festung Tular.
Kesla erhob sich aus ihrem Versteck und eilte vorwärts. Eine zweite Chance würde sie nicht bekommen. Mit einer schnellen Bewegung entrollte sie ihr Kletterseil und schwang die drei Greifhaken am Ende der geflochtenen Seidenschnur über dem Kopf.
Sie zielte sorgfältig, sprach ihrerseits ein stummes Gebet und ließ die Leine fliegen. Pfeilschnell rasten die Haken an der Kruppe des Malluks vorbei. Sobald sie ihr Ziel erreicht hatten, zog Kesla das Seil ruckartig zurück. Die Haken verfingen sich in der Schnur und rissen dem überraschten Banditen seinen leuchtenden Talisman aus den Fingern.
Als der Fisch an der Angel hing, warf Kesla den Arm nach hinten und zog das Seil in hohem Bogen mit, während sie sich Rad schlagend entfernte. Endlich rollte sie sich ab, sprang auf, fing den fliegenden Talisman mit der Hand, löste ihn von den Haken und verbarg ihn in der Faust.
Fluchend drehte sich der Bandit im Sattel um. Einen Moment lang standen er und die Meuchlerin sich Auge in Auge gegenüber. Dann erkannte der Reiter, in welcher Gefahr er schwebte. Sein Tier bäumte sich auf, reckte den Hals und brüllte vor Todesangst.
Die Haie fielen über die kleine Insel her, und mit der Sicherheit war es vorbei. Das Malluk versank mit den Hinterbeinen und wurde von unten her zerfleischt. Der Bandit zog die Beine an, um nicht mit dem blutigen Sand in Berührung zu kommen, und blieb totenbleich und mit weit aufgerissenen Augen wie gelähmt vor Entsetzen im Sattel sitzen.
Erst im allerletzten Augenblick sprang er ab und versuchte, mit einem Satz zu entkommen. Während er noch in der Luft war, schoss ein riesiger Hai aus dem Sand, packte ihn in der Mitte und biss ihn entzwei. Eine Blutfontäne spritzte auf, die beiden Hälften fielen herab. Andere Haie kamen emporgeschossen und rissen sie in Stücke. Als der Leichnam den Boden erreichte, war er schon nicht mehr als Mensch zu erkennen.
Kesla rief sich die Karawane mit den verängstigten Kindern in Erinnerung und wandte sich ab. Sie bedauerte den Tod der dumpfen Kreatur; mit dem Banditen hingegen hatte sie kein Mitleid.
Dann sah sie sich das leuchtende Ding an, das sie erbeutet hatte.
An der Schnur hing der große, scharf gezackte Zahn eines Sandhais.
Joach folgte Kesla durch die Tore von Tular und duckte sich in den Schatten des Wachturms. Von dort beobachtete er die Schießscharten und die Wehrgänge. Nichts regte sich. Die Stadt schien tatsächlich entvölkert zu sein. Dann spähte er hinüber zu der eigentlichen Burg. Der Vollmond stand genau über ihnen und strahlte silberhell. Die Ruine war ein Mosaik aus Licht und Schatten.
Hinter ihm eilten die anderen atemlos durch die Tore. Richald kam mit seiner Krücke als Letzter angehumpelt. Er beobachtete mit finsterer Miene, wie ihnen die Haie den Rückweg versperrten. Joach folgte seinem Blick. Wieder brodelte das Sandmeer vor den Mauern. »Was nun?« fragte der Elv’e.
»Wir gehen weiter«, sagte Kesla. Sie senkte den Arm und verbarg den gestohlenen Talisman wieder unter ihrem Umhang.
Die Nacht war kühl, doch allen stand der Schweiß auf der Stirn. Der Weg durch die
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