Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Haie vorbei an den abgenagten Gebeinen des Malluks war nervenaufreibend gewesen. Nun setzte sich Innsu an die Spitze und lief leichtfüßig dorthin, wo die Schatten am tiefsten waren.
Alle zückten ihre Waffen. Vergangene Nacht hatten sie Klingen und Pfeilspitzen ins Blut der von Ragnar’k getöteten Skal’ten getaucht. Das gab ihnen die nötige Schärfe, um auch die dunkle Magik zu durchdringen, mit der sich die Skal’ten schützten. Auf diese Weise hatte die Gruppe wenigstens eine gewisse Chance gegen die mächtigen Ungeheuer.
Auf dem Weg durch die Ruinen blieb Kesla an Joachs Seite, Kast und Saag wan nahmen Richald zwischen sich und folgten ihnen. Alle bewegten sich lautlos und warteten stets Innsus Handzeichen ab, bevor sie sich aus der Deckung wagten.
Joach betrachtete die eingestürzten Türme und die rußgeschwärzten Mauern und malte sich aus, wie es in jenem Krieg zugegangen sein mochte, der die Ghule aus Tular vertrieben hatte. Im Geiste hörte er das Dröhnen der Katapulte und das schrille Jaulen der Schlachthörner. Er sah die Flammen der schwarzen Magik über den Himmel schießen, die Schreie der Sterbenden gellten ihm in den Ohren. Einen Augenblick lang hatte er sogar den Geruch des Bösefeuers in der Nase. Seine Finger schlossen sich fester um das Heft seines Schwertes. Plötzlich erinnerte er sich, wie erregend es gewesen war, selbst etwas von der Magik zu verströmen, die ihm innewohnte, und sie durch den Poi’holz Stab zu bündeln. Sein Armstumpf begann zu jucken, er glaubte Greschyms Stab in seiner fehlenden Hand zu spüren. Er verzog das Gesicht und rieb sich das Armende an der Hüfte, um das aufflammende Begehren zu unterdrücken.
Kesla bemerkte die Bewegung und erkundigte sich mit einem stummen Blick nach seinem Befinden. Er deutete mit der Schwertspitze nach vorn.
Kesla nickte besorgt und schlich um eine riesige Statue herum, die halb vergraben auf der Seite im Sand lag. Joach flüchtete vor dem Blick des verkratzten Auges. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, beobachtet zu werden wie ein Insekt. Doch sooft er sich auch umsah, sie wurden von keiner Seite bedroht.
Während der Mond über den Himmel wanderte, arbeiteten sie sich langsam im Zickzack durch die Ruinen der Burg. Niemand hielt sie auf. Sie strebten der Öffnung zu, durch die man in die Räume und Tunnel im Inneren des Südwalls gelangte. Endlich stießen sie auf Innsu, der auf den Fersen hockte und sich mit dem Rücken an ein Mäuerchen lehnte.
Er wartete, bis alle sich neben ihm aufgereiht hatten, dann deutete er mit dem Finger um die Ecke und sagte so leise, als streiche nur der Wind durch den Sand: »Der Eingang ist unbewacht.«
Alle fassten neuen Mut und machten sich bereit.
»Zwischen uns und der Öffnung liegt ein Hof. Wir müssen schnell sein. Ich sehe mehrere Löcher im Wall.«
»Wachen?« fragte Kesla.
Innsu zuckte die Achseln.
Richald kroch fast auf allen vieren näher. »Hier kann ich helfen. Ringsum liegt eine dicke Sandschicht. Mit einem leichten Wind lässt sich sicher genügend Staub aufwirbeln, um uns Deckung zu geben.«
»Könnte die Magik die Wesen da drinnen nicht warnen?« fragte Joach.
»Nicht, wenn ich den Wind nur behutsam steuere. Die Nachtluft ist ohnehin schon frisch und böig. Da braucht es nicht viel, um die Strömung für einen kurzen Moment in die gewünschte Richtung zu lenken.«
Wieder zuckte Innsu die Achseln. »Einen Versuch ist es wert.«
Joach nickte.
Richald lehnte sich mit dem Rücken gegen die Sandsteinmauer, schloss die Augen und setzte seine Kräfte frei. Winzige Elementarfeuerchen tanzten über seine Fingerspitzen, ein schwaches Magik Rinnsal nur, nicht mehr. »Haltet euch bereit!« befahl er. »Auf mein Wort.«
Kesla berührte Joach stumm, als wollte sie ihm Kraft geben. Dann zog sie sich den Wüstenschal über Mund und Nase. Die anderen folgten ihrem Beispiel. Alle warteten gespannt.
»Jetzt!« flüsterte Richald.
Im Pulk rannten sie um die Ecke und auf die schwarze Tunnelöffnung zu. Im gleichen Augenblick fegte eine heftige Bö durch die Ruine und wirbelte einen kleinen Sandsturm auf. Die ganze Gruppe verschwand darin. Der Wind peitschte ihnen den Sand in die Augen und zerrte an ihren Umhängen.
Kast schleppte den hinkenden Richald mit.
Joach blickte zum Südwall auf. Die Oberkante war im fliegenden Sand kaum noch zu erkennen. Ihr Ziel war ein etwas dunklerer Schatten in einer Wand aus wirbelnden Körnern. Innsu stürmte als Erster in den Tunnel, Kesla
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